Musik machen

Wenn Kinder Instrumente lernen

Ein Instrument zu lernen, bringt Spaß. Und nicht nur das: Musikmachen hat viele weitere positive Auswirkungen. Wie Kinder das Musizieren erleben und wie Eltern sie dabei unterstützen können.

veröffentlicht am 14.10.2020

Franziska sitzt am Klavier, den Oberkörper leicht nach vorne gebeugt. Der Kopf nickt leicht im Takt von „Highway Number One“. Die satten rhythmischen Klänge des Rockstückes wummern aus dem großen offenen Wohnzimmer durch das ganze Haus. Die 14-Jährige spielt kraftvoll und konzentriert, ihre Hände scheinen genau zu wissen, was sie tun.

Franziska Hasenauer hat seit der ersten Klasse Klavierunterricht, im Gymnasium kam die Klarinette dazu. „Ich wollte schon immer Klavier spielen“, sagt das Mädchen mit dem kurzen hellblonden Pferdeschwanz. „Ich bin mit Musik aufgewachsen. Musik gehört zu meinem Leben.“ Tatsächlich hat in der Lüneburger Familie die Musik eine große Bedeutung. Beide Eltern spielen mehrere Instrumente, die Mutter ist an unterschiedlichen Chorprojekten beteiligt. Die elfjährige Schwester lernt ebenfalls Klavier.

„Das haut mich vom Hocker“

Schon als kleine Kinder hätten sich die Mädchen ab und zu ans Klavier gesetzt und herumprobiert, erzählt Vater Michael Hasenauer. „Irgendwann sind ein paar Töne in Folge rausgekommen, die schön klangen.“ Das war der Anfang. Heute sitzt Franziska fast jeden Tag für ein bis zwei Stunden an dem nussbraunen Kawai-Piano. Besonders gefallen ihr die Walzer von Chopin. Vor Kurzem hat sie die „Rock-Piano“-Noten aus den 1980er-Jahren entdeckt, aus denen schon ihre Mutter gespielt hat, und in denen die Jugendliche seitdem völlig aufgeht. Außerdem schreibt sie eigene Texte und vertont sie. Durch die Musik könne seine Tochter ihren Gefühlen so gut Ausdruck verleihen wie auf keine andere Weise, sagt der Vater, der in Lüneburg als Hochschulseelsorger tätig ist. „Auf einmal setzt sie sich ans Klavier und entwickelt daraus eine Musik. Das haut mich vom Hocker und ich denke, wie toll, wo kommt das jetzt her?“

Musik, vor allem der Musikkonsum, hat für viele Jugendliche eine große Bedeutung. Das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zur musikalischen Bildung in Deutschland aus dem Jahr 2017. Rund 97 Prozent der befragten Jugendlichen gaben an, täglich oder wenigstens einmal pro Woche Musik zu hören. Der Anteil der Jugendlichen, die selbst singen oder ein Instrument spielen, lag bei etwa 24 Prozent. Allein an den 930 öffentlichen Musikschulen, die im Verband deutscher Musikschulen organisiert sind, werden nach Angaben des Verbands mehr als 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche unterrichtet. Hinzu kommen junge Menschen, die in anderen Einrichtungen oder bei Privatlehrern lernen. In Österreich waren 2017 an 370 Musikschulen rund 190.000 Musikschülerinnen und Musikschüler eingeschrieben.

Dass das Musikmachen vielfältige positive Auswirkungen hat, belegen unzählige wissenschaftliche Studien. Auch Tilman Fischer, Direktor der Rheinischen Musikschule Köln, ist fasziniert von der Kraft der Musik. „Das Erlebnis des gemeinsamen Musizierens ist mit nichts zu vergleichen. Das weiß jeder, der mal in einem Ensemble musiziert hat, und zwar egal, auf welchem Niveau“, sagt der Cellist und Orchestermusiker. Das Musizieren fördere die Persönlichkeitsentwicklung. Kinder kämen durch das Musikmachen in soziale Räume und Situationen, die sie in der Schule und in der Familie nicht hätten, so Fischer. „Aufritt, Applaus, Erfolg, Selbstverantwortung. Das sind Erlebnisse, die prägend sind und die ein Kind voranbringen.“ Auch soziale Kompetenz, Gedächtnis, Körperwahrnehmung und ästhetische Bildung würden geschult. Durch das Lernen eines Instruments bekämen Kinder „einen Zugang zur Musik, der über die rein passive Rezeption hinausgeht“.

Mehr Kinder sollen musizieren

Deshalb ist Fischer auch der Meinung, dass noch viel mehr Kinder die Möglichkeit haben sollten, ein Instrument zu lernen. Denn was die Bertelsmann-Studie auch zeigt: Ob junge Menschen musikalisch aktiv sind, hängt stark von Einkommen und Bildung der Eltern ab. Kinder aus Familien mit höherem Haushaltseinkommen und höherem Berufsstatus sind häufiger musikalisch aktiv. Auch der Anteil derer, die bezahlten Musikunterricht erhalten, ist bei Kindern aus diesen Familien höher. Zwar hat sich, so die Studie, in den vergangenen knapp 20 Jahren der Zugang zum aktiven Musizieren verbessert. Doch benachteiligte Jugendliche sind immer noch deutlich unterrepräsentiert. Deshalb setzt sich Fischer, der auch Betriebswirtschaft studiert und über Marketing für Kulturveranstaltungen promoviert hat, mit Leidenschaft dafür ein, mit Programmen und Aktionen gezielt Familien in seine Schule zu bringen, die von sich aus den Weg dorthin wohl nicht fänden.

Auch das Thema Inklusion spielt an der Rheinischen Musikschule eine große Rolle. Direktor Fischer ist überzeugt: „Jedes Kind kann Musik machen.“ Natürlich nicht auf jedem Niveau, schränkt er ein, nicht jedes Kind könne alleine auftreten. Doch gerade im Falle von schweren Beeinträchtigungen sei es am wichtigsten, dass der Schüler oder die Schülerin sich an der Musik freue. „Und wenn das Kind jede Woche das gleiche Stück spielt und Freude daran hat, dann macht das Kind Musik.“

Und wie gelingt es nun, das eigene Kind früh genug bestmöglich an die Musik heranzuführen? Mozart schon während der Schwangerschaft? Musikalische Krabbelgruppen? Konzertbesuche und Geigenunterricht ab dem Vorschulalter? Grundsätzlich keine schlechte Idee. Aber Experten sind sich einig: Aufwendige Maßnahmen müssen eigentlich nicht sein. Die beste Förderung besteht darin, die Musik von Anfang an in den Alltag einzubauen. Singen, Musik hören, Musik machen. Um mit dem Instrumentenunterricht anzufangen, ist in der Regel das Grundschulalter eine gute Zeit. Und dann heißt es dranbleiben, üben und bestenfalls Fortschritte machen.

Bei Franziska Hasenauer hat das gut funktioniert. „Bis vor ein, zwei Jahren war Üben nicht so mein Ding“, gibt die 14-Jährige zu. „Aber seit einiger Zeit macht es mir so viel Spaß, dass ich damit meiner Familie schon manchmal auf die Nerven gehe.“ An diesem Nachmittag ist das nicht der Fall, im Gegenteil. Franziska präsentiert noch ein Stück aus dem „Rock-Piano“. Dann holt der Vater seine Geige aus dem Kasten und die beiden spielen im Duett.

Musikunterricht: Was Eltern wissen wollen

Dass ihr Kind ein Instrument lernen soll, steht für viele Eltern fest. Bei der Umsetzung stellen sich viele Fragen. Drei Praxis-Tipps von Tilman Fischer, Direktor der Rheinischen Musikschule Köln.

Welches Instrument ist das richtige für mein Kind?
Probieren. Die meisten Musikschulen bieten sogenannte Instrumentalkarussells an, bei denen Kinder unter Anleitung Instrumente ausprobieren können. Im Moment geht das wegen Corona leider nicht. Aber normalerweise ist das eine gute Möglichkeit. Manchmal kommt es auch vor, dass jemand seine Begabung für ein bestimmtes Instrument erst spät findet.

Wie klappt es mit dem Üben?
Hier gilt das gleiche wie beim Lernen in der Schule: Das ist unterschiedlich. Manche haben mehr Bedarf, zu üben, andere weniger. In jedem Fall gehört es dazu, dass Eltern danach fragen wie nach
den Hausaufgaben. Kinder, die aus irgendeinem Grund zu Hause nicht üben können, sollten eine
Möglichkeit bekommen, woanders zu üben, zum Beispiel in der Schule.

Was zeichnet einen guten Musiklehrer aus?
Untersuchungen zeigen: Es liegt nicht an der Methodik oder Didaktik, sondern an der Person. Den guten Musikpädagogen für jeden Menschen gibt es nicht. Welche Lehrkraft geeignet ist, hängt auch mit der Zielsetzung und der Persönlichkeit des Kindes zusammen. Wenn nötig, kann man wechseln. Wichtig ist, dass es passt!

Die beliebtesten Instrumente

  1. Klavier
  2. Violine
  3. Gitarre
  4. Blockflöte
  5. Schlagzeug
  6. Querflöte
  7. Keyboard
  8. Klarinette
  9. Trompete
  10. Saxofon

Quelle: Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland 2019


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