Grüne Seele

Die Asphaltknackerin

Isabella Sedivy will Zürich grüner machen und unnötige Betonflächen entsiegeln. Das steigert die Lebensqualität in der Stadt und fördert die Biodiversität. Wie diese noch bewahrt werden kann, zeigt die Biologin mit ihrer Firma „Plan Biodivers“.

veröffentlicht am 03.07.2024

Schon als sie ganz klein war, zog es sie hinaus in die Natur. „Wir haben zu viert in einer kleinen Zweizimmerwohnung gelebt, da mussten wir uns andere Freiräume suchen“, erklärt Isabella Sedivy. „Unsere Mutter ist nie mit uns auf den Spielplatz gegangen, sondern immer direkt in den Wald oder an den Zürichsee.“ Das Interesse an Tieren und Umwelt wurde also früh geweckt und hält bis heute an. Isabella Sedivy ist sogar das gelungen, wovon viele träumen: Sie hat ihr Hobby zum Beruf gemacht und setzt sich für mehr Biodiversität ein.

Dieses Ziel hat sie von Anfang an mit einer beeindruckenden Klarheit verfolgt. Für Isabella Sedivy stand schnell fest, dass sie Tierfilmerin werden wollte. Sie studierte an der ETH Zürich Biologie, „denn ich wollte die Grundlagen und das Wissen zu den Themen haben, um die Zusammenhänge zu verstehen und selbst sinnvolle Projekte initiieren zu können“. Nach ihrem Studium arbeitete sie zweieinhalb Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und kam dann über ein Praktikum zu der Sendung „Netz Natur“ beim Schweizer Radio und Fernsehen (SRF).

15 Jahre lang war sie dort als Tierfilmerin aktiv und durfte mit ihrer Kollegin Bettina Walch die „Mission B“ ins Leben rufen. „B“ steht dabei für Biodiversität, über die auf verschiedenen Sendeplätzen beim SRF berichtet wurde. Darüber hinaus gab es eine Mitmachaktion, bei der Zuschauerinnen und Zuschauer motiviert wurden, selbst ins Handeln zu kommen und auf ihren eigenen Flächen mehr Raum für die Natur zu schaffen. „Das hat extrem gut funktioniert“, erzählt Isabella Sedivy im Rückblick. „Die Naturgartenbau-Branche in der Schweiz und viele Naturschutzverbände haben uns gesagt, dass dieses Format wirklich einen Effekt hatte. Die Leute wurden sensibilisiert und haben etwas mehr verstanden, worum es bei Biodiversität geht.“

Schlaflose Nächte

Angespornt von diesem Erfolg haben sich Isabella Sedivy und Bettina Walch selbstständig gemacht und 2021 ihre eigene Firma „Plan Biodivers“ gegründet. Ein mutiger Schritt. „Meine Kollegin Bettina hatte allerdings mehr schlaflose Nächte deswegen“, sagt die 45-Jährige mit einem kurzen Schulterzucken. „Ich hatte weniger Bedenken, denn das Schöne war und ist, dass wir durch unsere Tätigkeit davor schon sehr gut vernetzt waren. Wir mussten fast nie in die Akquise gehen.“ Eine sehr gute Ausgangslage.

Plan Biodivers hat sich der Umweltkommunikation verschrieben. Das bedeutet, dass das Team aus fünf Frauen Firmen und anderen Organisationen hilft, ihr Engagement für eine intakte Natur öffentlich zu machen und so auch andere dafür zu begeistern. „Wir besetzen eine Nische aus Kommunikation und Fachwissen, das macht uns besonders. Wir übersetzen wissenschaftliche Fakten und zeigen Lösungen auf. Außerdem sind wir alle sehr intrinsisch motiviert und geben immer etwas mehr, als es der Job verlangt.“

Die Mitarbeiterinnen von Plan Biodivers sind im besten Sinne Überzeugungstäterinnen. Isabella Sedivy tritt dabei nicht laut und kämpferisch auf, sondern mit einer großen und unerschütterlichen Ruhe. Ihre Stärke ist es, abwarten zu können. „Das lernt man als Tierfilmerin, denn im Umgang mit Tieren und der Natur muss man manchmal lange schauen und zuhören, doch dann wird man belohnt.“ Eine Parallele zu ihrer Arbeitswelt: „Es gibt Firmen, die wir vor zwei Jahren angefragt haben, ob sie etwas in Richtung Biodiversität anstoßen möchten. Irgendwann melden sie sich, man kommt ins Gespräch, doch bis konkret etwas umgesetzt wird, dauert es wahrscheinlich noch einmal zwei Jahre. Also heißt es: warten. Aber wichtig ist vor allem, überhaupt einmal den Samen zu setzen.“

Aus toten Flächen lebendige machen

Doch Isabella Sedivy kann nicht nur warten, sondern packt auch selbst mit an – als Asphaltknackerin. Mit diesem Projekt werden Einzelpersonen, Institutionen und Firmen von Plan Biodivers unterstützt, vor der eigenen Haustür etwas für die Biodiversität und das Stadtklima zu tun. Dabei geht es Parkplätzen, Hinterhöfen oder Vorgärten wortwörtlich an den Beton – zugunsten von mehr einheimischem Grün. Plan Biodivers berät und begleitet die Kundinnen und Kunden bei diesem Prozess, stellt den Kontakt zu Naturgartenbauern her und übernimmt die Kosten für den Abtransport und die Entsorgung des Asphalts.

„Das ist unser Herzblutprojekt, denn es gibt nichts Besseres, als aus einer komplett toten Fläche eine lebendige zu machen“, erklärt Isabella Sedivy. „Wir haben in der Stadt einfach zu viele versiegelte Flächen. Die verursachen tagsüber eine brütende Hitze und bei Starkregen gibt es Überschwemmungen.“ Doch es sind nicht nur die Sachargumente, die Isabella Sedivy für die Asphaltknackerinnen schwärmen lassen. „Es macht einfach Spaß, zum Presslufthammer zu greifen und ein wenig mitzumachen“, räumt sie schmunzelnd ein. „Ich bin keine Handwerkerin, aber das muss man beim Asphaltknacken auch gar nicht sein. Da geht es einfach darum, etwas wegzubrechen und auf richtig kraftvolle Weise Platz zu schaffen. Das ist toll. Und wenn das Projekt weitergeht, mache ich noch den Baggerfahrer-Kurs. Das habe ich mir fest vorgenommen.“

Ob und wie es weitergeht, ist im Moment allerdings noch nicht klar. Isabella Sedivy und Bettina Walch hatten die Idee zu den Asphaltknackerinnen Anfang 2022 bei einem Projektwettbewerb eingereicht und gewonnen. Mit dem Preisgeld konnten sie im Herbst 2022 starten und bis Ende 2023 zehn Flächen mit einer Größe von insgesamt 1.000 Quadratmetern entsiegeln. Nun muss eine neue Finanzierung her. „Wir schauen uns gerade nach Alternativen um“, so Isabella Sedivy. „Wir würden die Asphaltknackerinnen gerne in weitere Städte der Schweiz bringen. Das müssen nicht alles wir machen, aber wir würden uns freuen, wenn das Konzept von anderen aufgegriffen wird – gerne auch in Deutschland oder Österreich.“

Preis für Klimakommunikation

Ausgezeichnet wurden die Asphaltknackerinnen bereits. 2023 erhielt die Initiative einen internationalen Preis für Klimakommunikation. Für Isabella Sedivy eine große Überraschung: „So ein Preis ist natürlich etwas Schönes und verschafft noch einmal Aufmerksamkeit. Aber es hat mich schon ein wenig erschreckt, dass so ein kleines Projekt wie unseres gewinnt. Eigentlich müsste es da doch größere Projekte geben, denn unsere Welt braucht viel Größeres.“

Denn auch wenn Isabella Sedivy ein durchweg positiver Mensch ist, so bleibt sie doch realistisch. „Wir laufen in die absolute Katastrophe, wenn wir so weitermachen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Wir brauchen viel zu viel Platz – für unsere Nahrungsmittel, für unser Wohnen, für unsere Mobilität.“ Die Sorgen und Zukunftsängste gerade der jungen Generation kann sie sehr gut nachvollziehen und erlebt sie als zweifache Mutter hautnah mit. „Meine Kinder sind neun und zwölf Jahre alt und durch das Internet und die sozialen Medien erfahren sie heute viel mehr über die Welt als wir damals. Meine Kinder wissen, dass die Gletscher schmelzen. Klimawandel ist für sie kein Fremdwort. Mein Sohn hat sogar einmal zu mir gesagt, dass er später sowieso keine Kinder haben könne, denn dann sei die Welt ja schon kaputt. Das finde ich schon hart, das so von ihm zu hören.“

Ihre Botschaft: im Kleinen trotzdem sein Bestes geben. Das ist auch der gemeinsame Nenner bei all ihren beruflichen Projekten. „Anhand dieser praktischen kleinen Beiträge bringen wir das größere Thema ins Bewusstsein der Gesellschaft. Man muss kleine Projekte angehen und sie bekannt machen, um anderen Beispiele zu geben, wie man es besser machen kann.“ Für Isabella Sedivy können auch alle zu Asphaltknackerinnen werden. Keine Fläche sei dafür zu klein und nicht immer brauche es sofort einen Presslufthammer. „Wenn man eine eigene Fläche hat und niemanden fragen will, kann man einfach einen Meißel nehmen und ein paar Löcher bohren, in die man etwas reinpflanzt. Wenn man Bäume reinpflanzt, werden sie mit der Zeit selbst noch mehr Asphalt knacken.“

Die Natur als Ausgleich und Aufgabe

Auch sie selbst räumt der Natur viel Platz ein. In ihrem Schrebergarten ist die Fläche für einheimische Blumen und Staudenbeete weitaus größer als die für den Gemüseanbau. Isabella Sedivy bleibt sich im Beruf und im Privatleben treu – und die Übergänge sind oft fließend: „In meiner Freizeit gehe ich oft an Orte, die ich während der Arbeit gesehen habe, aber in dem Moment nicht genug Zeit hatte, um sie wirklich zu genießen. Wenn ich beispielsweise Leute auf einer Alp oder einem Bio-Bauernhof kennengelernt habe, verbringe ich dort meine nächsten Ferien mit der Familie.“

Die Natur ist für Isabella Sedivy Ausgleich und Aufgabe in einem. Sie liebt es, etwa bei Renaturierungsprojekten zu beobachten, wie schon nach wenigen Monaten, wenn das Flussufer aufgebrochen wurde, neue Tierarten in diese Gebiete kommen. Und sie ist begeistert von den vielen Menschen, die für die Natur aktiv sind und denen sie dank ihrer Arbeit begegnen darf. „Das sind alles glückliche Menschen, die erfüllt sind von dem, was sie machen – und das ist einfach richtig schön“, sagt die Biologin. „Mit Plan Biodivers wollen wir den Wert der Natur aufzeigen und die Freude, die man daran haben kann. Das ist nicht nur ‚nice to have‘, sondern es ist überlebensnotwendig. Die Lösung für unsere Zukunft ist eine intakte Biodiversität.“ Und für die will sie sich auch weiterhin einsetzen – als Mutter, als Journalistin und Tierfilmerin sowie als Asphaltknackerin.

Weitere Informationen

Was bedeutet Biodiversität?
Die Biodiversität umfasst die Bandbreite an Ökosystemen und Lebensräumen, die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der verschiedenen Arten. Sie ist maßgeblich für unsere Lebensqualität verantwortlich und eine unserer wichtigsten Überlebensgrundlagen. Doch die Biodiversität ist bedroht – zum Beispiel durch die Erderwärmung, die Übernutzung natürlicher Ressourcen oder das Auftreten invasiver Arten.

Die Asphaltknackerinnen
Mit dem Projekt Asphaltknackerinnen unterstützt Plan Biodivers Einzelpersonen, Institutionen und Firmen dabei, vor der eigenen Haustür etwas für die Biodiversität und das Stadtklima zu tun.


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