Interview

Was das Landleben für Familien attraktiv macht

Familien schätzen das Dorfleben. Die Studie „Neu im Dorf“ zeigt, dass gerade Familien wieder häufig aufs Land ziehen. Warum das so ist und was ein Dorf braucht, um für Familien attraktiv zu sein, erklärt Soziologin und Studien-Mitautorin Eva Eichenauer.

veröffentlicht am 24.07.2024

In der Studie „Neu im Dorf“ haben Sie festgestellt, dass in den letzten Jahren wieder mehr Menschen in Dörfer und Kleinstädte ziehen – und zwar vor allem Familien, genauer 30- bis 49-Jährige mit minderjährigen Kindern. Was macht das Landleben gerade für Familien attraktiv?
Zunächst einmal können wir festhalten, dass tatsächlich wieder mehr Menschen in ländliche Räume ziehen, als noch vor zehn Jahren. Um herauszufinden, warum Menschen aufs Land ziehen, sind wir in sechs Dörfer gefahren und haben dort mit vielen Menschen gesprochen. Viele haben gesagt, dass es gerade für Familien schwierig ist, in der Stadt adäquaten und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Häufig wünschen sich Familien ein Haus mit Garten und einem eigenen Zimmer für jedes Kind. Aber selbst eine Vierzimmerwohnung ist in der Stadt oft schwer zu finden oder nicht bezahlbar.

Ein Argument ist auch, dass die Kinder im Grünen aufwachsen sollen. Da schwingt oft die Vorstellung mit, dass das Leben auf dem Land naturnäher und weniger gefährlich ist und die Kinder sich freier bewegen können. Häufig gefallen ist außerdem das Großeltern-Argument, also dass Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind, zurück zur Familie wollen. Oft sind beide Elternteile berufstätig und wenn die Kinder mal krank sind, ist es einfach praktisch, wenn Oma und Opa um die Ecke wohnen. Dieses Zurück in familiäre Netzwerke, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stemmen zu können, ist ein starkes Motiv.

Wie können zugezogene Familien es schaffen, sich in eine Dorfgemeinschaft zu integrieren?
Ehrenamtliches Engagement ist da natürlich ein guter Weg oder auch einfach Small Talk mit den Nachbarn. In der Stadt kann man sehr gut in einer Blase mit Gleichgesinnten leben. Auf dem Land ist man eher gezwungen, auch mal auf Leute zuzugehen, mit denen man normalerweise keinen Kontakt hätte – einfach, weil es insgesamt weniger Menschen vor Ort gibt.

Was uns bei der Studie widergespiegelt wurde, ist das Problem, dass Neubaugebiete oft so ein bisschen inselig am Rand eines Dorfes gebaut werden. Dadurch haben die zugezogenen Familien viel Kontakt zu Gleichgesinnten, aber wenig Kontakt zu den älteren Leuten, die im alten Dorfkern wohnen. Eigentlich bräuchte es mehr Durchmischung. Es ist natürlich nicht einfach, sich zum Beispiel ein altes Fachwerkhaus mit viel Sanierungsbedarf ans Bein zu binden. Aber es würde beim Ankommen guttun, wenn man nicht am Rand des Dorfes unter lauter neu Zugezogenen wohnt, sondern mittendrin.

In vielen Dörfern fehlt es an Infrastruktur und Orten der Begegnung wie einem Bäcker, Dorfladen oder Café. Welche Chancen sehen Sie, dass solche Orte wieder entstehen können?
Wenn Sachen erst mal weg sind, dann sind sie ganz schwer wiederaufzubauen. Wenn Familien mit Kindern zuziehen, ist das natürlich eine Chance, dass der Kindergarten oder die Grundschule doch im Dorf bleiben. Bei vielen anderen Dingen hängt es davon ab, dass sich die Leute ehrenamtlich engagieren – etwa bei genossenschaftlich geführten Gaststätten, Cafés oder Tante Emma Läden oder auch einfach nur, damit ein Dorffest zustande kommt.

Dazu braucht es zum einen bei den neu Zugezogenen Interesse, Zeit und Lust, sich einzubringen und mit anzupacken. Auf der anderen Seite müssen auch die Alteingesessenen offen sein für Neues. Oft gehen da die Vorstellungen auseinander: Die Alteingesessenen meinen, da kommen junge Leute, die sollen sich jetzt engagieren. Die Zugezogenen haben aber zwei Jobs und zwei Kinder und wollen nicht jeden Abend noch nebenbei ehrenamtlich tätig werden.

Was braucht ein Dorf, damit sich Familien dort wirklich wohlfühlen und dauerhaft bleiben?
Was immer zieht, ist Kinderbetreuung vor Ort. Bei den Interviews zur Studie haben wir gehört: Früher wollten die Leute einen Supermarkt, jetzt wollen sie Kita und Internet. Und wenn es um Kinder und vor allem um Jugendliche geht, ist es auch ganz wichtig, dass sie Räume für sich haben: Oft ist es so, dass es im Neubaugebiet zwar einen tollen Spielplatz gibt, aber nur wenige hingehen, weil jeder Trampolin, Schaukel und Rutsche im eignen Garten hat. Aber das gilt eher für Kleinkinder. Ältere brauchen eher Orte, an denen sie für sich sein können, einen Bolzplatz zum Beispiel oder einen Bauwagen. Wo sie einfach jugendlich sein dürfen und auch mal laut und unordentlich. Das ist gerade im ländlichen Raum wichtig, weil man da eben nicht so gut wegkommt und gerade abends oft weniger los ist. Und Vereine braucht man für Sport, Musik, Tanz. Oft gibt es in einem Dorf nur Fußball – da wäre mehr Angebot schön.

Die meisten jungen Erwachsenen zieht es für Ausbildung oder Beruf erst mal in die Stadt. Aber wenn sie gute Erinnerungen an das Dorf haben und über die Eltern hinaus noch ein Netzwerk von Freunden oder Vereinen, kommen viele gerne wieder, sobald sie eine eigene Familie haben.

Porträt Eva Eichenauer

Die Soziologin Eva Eichenauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Mitautorin der 2023 erschienenen Studie „Neu im Dorf – Wie der Zuzug das Landleben verändert“.

 


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