Alles anders
Vom Suchen und Finden der Ich-Zeit
Stefanie Kortmann denkt mit gemischten Gefühlen an die erste Zeit mit ihrer Tochter zurück. So wunderbar es war, das kleine Wesen zu umsorgen, so anstrengend und kräftezehrend war es auch. Inzwischen bekommt die Mama immer mehr Freiräume zurück.
veröffentlicht am 30.05.2022
Mit einem Kind ändert sich alles. Wie wahr diese Weisheit ist, habe ich erst erfahren, als ich selbst Mutter wurde. Die mit Abstand größte Veränderung betraf die Verteilung von Zeit. 38 Jahre konnte ich weitestgehend selbstständig und selbstbestimmt handeln. So war auch unsere Erziehung. Wir wurden groß mit dem Finde-dich-erst-mal-selbst-Spirit, untermalt mit dem Alles-ist-möglich-Grundgefühl. Wenig war wichtiger als der eigene Bauchnabel. Und dann wurde ich Mutter.
Es war noch nicht mal die Schwangerschaft, die mich auf diesen emotionalen Umschwung vorbereitete. Diese verlief durchgehend reibungslos. Ich fühlte mich so wohl, dass ich den Zustand – genauso wie meine Tochter – eigentlich nicht ändern wollte.
Schließlich aber lag die Kleine in meinen Armen und ein neues Lebens-Kapitel war aufgeschlagen. Nach vier Tagen kündigte sich Julia, meine liebe, kinderlose und stets adrett gekleidete Freundin, zum Besuch an. Erst da kam mir der Gedanke, ich müsste vielleicht mal duschen gehen und mein Auftreten wieder ein wenig gesellschaftsfähiger gestalten. Mittags, in Jogginghose vor dem Spiegel, stellte ich fest: Das Kind hatte mein Leben bis in die letzte Minute gekapert, und das von Null auf Hundert. Wie eine Schallplatte, die gedreht wurde. Gerade noch lief die alt bekannte Solo-Single, nun gab meine Tochter den Ton an – im wahrsten Sinn des Wortes.
Aufatmen, in meinem Rhythmus gehen, nur bei mir sein – diese Momente waren selten
Es folgten viele Wochen und Monate, die geprägt waren von kurzen Nächten, vielen Kilometern mit dem Kinderwagen und Non-stop-Stillen im Hochsommer. Je mehr wir so zusammenwuchsen, umso wertvoller wurden mir die Momente, in denen ich mich auch mal davonstehlen konnte. Aufatmen, in meinem Rhythmus gehen, nicht die Augen auf dem Kind haben, nur bei mir sein. Diese Stunden waren selten, aber wertvoll und kraftspendend – in dem Sinn also auch gut für das Kind. Daher konnte ich auch gut jeden Anflug von schlechtem Gewissen beiseite räumen, wenn ich mal spontan in einem solchen Zeitfenster kurzerhand verschwinden konnte. Nicht lange nachdenken, das Kind in verantwortungsvolle Hände geben und die Mutterrolle abstreifen, wenn auch nur für den Augenblick.
Heute ist diese anstrengende Phase vorbei. Mit fast acht Jahren ist in Sachen Selbstständigkeit schon viel erreicht. Das Baby von damals geht immer mehr seine eigenen Wege und ich bekomme langsam, aber stetig Freiräume zurück. Eltern bleibt man für immer, aber die intensive Brutpflege ist vorbei. Ich bin dankbar für diese Zeit. Sie hat uns fest verbunden und mir gleichzeitig viel abverlangt. Ich konnte und musste mich neu entdecken, denn mit einem Kind ändert sich alles.