Beliebte Tradition

Als Nikolaus die Herzen der Menschen berühren

Jedes Jahr im Advent schlüpft unser Autor ins Bischofsgewand und legt sich den Rauschebart um. Als heiliger Nikolaus bringt er die Botschaft des Mannes aus Myra zu den Menschen. Ein bewegender Auftritt – nicht nur für die anderen.

veröffentlicht am 19.11.2024

Einmal im Jahr wollen unsere schon fast jugendlichen Kinder wieder klein sein: Wenn zu Adventbeginn der Tag des heiligen Nikolaus ansteht, ein mit vielen Erinnerungen verbundenes Datum. Früher haben wir dazu stets ein paar Freunde oder Verwandte zu einer kleinen Feier im Wohnzimmer eingeladen und immer auch einen besonderen, geheimen Gast mit prächtigem Rauschebart, Mitra, Umhang und Bischofsstab. Er kam stets verspätet, und die Kinder warteten nur darauf, die Identität von unserem Nikolaus als erstes zu enttarnen und ihm einen entsprechenden Spitznamen zu verpassen. Meist schon während er durch die Tür schritt, erschall es dann triumphierend: „Dieses Jahr ist es Danilaus!“, oder in anderen Jahren „Lukilaus“, „Titolaus“ und ganz früher auch „Papalaus“ und sogar „Mamalaus“.

Wenn der Nikolaus vor der Tür steht, sind die großen Kinder nochmal klein

Trotz allem begegneten die Kinder dem verkleideten Gast mit einer Portion Scheu und Ehrfurcht. Er war ja nicht nur zum Spaßen gekommen, sondern wollte eine Geschichte erzählen, ein Lied hören und auch gemeinsam beten, wie es sich halt für einen Bischof gehört. Bevor er dann alle mit einem mit Süßigkeiten gefüllten Säckchen beschenkte, las er zudem aus seinem geheimnisvollen alten Buch vor, in dem so manches sonst kaum Erwähntes über die Anwesenden stand: etwa die schönen Verzierungen im Heft, über die sich die Lehrerin freut, das großzügige Teilen des Pausenbrotes, die Beharrlichkeit beim Lernen oder der Blick für Außenseiter in der Klasse. Das einfühlsame Nikolaus-Lob lud die Kinder ein, in ihrem Stärken weiter zu wachsen, ein strenger Mahner wollte er nie sein.

Nikolaus hat eine universelle, integrative Botschaft für Kinder wie auch Erwachsene. Das wurde uns klar, als wir begannen, zur Feier Menschen aus anderen Kulturkreisen einzuladen. Er steht für Nächstenliebe, Rücksicht auf Schwache und Selbstlosigkeit, und es passt wunderbar als Vorbereitung für Weihnachten, daran erinnert zu werden. Als wir vor einigen Jahren die lateinamerikanischen Wurzeln meiner Frau stärker zu leben begannen, trugen wir die Nikolaus-Tradition in die spanischsprachige Pfarrgemeinde unserer Stadt, wo man mit dem spätantiken Heiligen aus Myra bis dahin noch gar nichts anzufangen wusste. Und so stand ich eines Jahres selbst in Bischofsgewand, mit Bart und einem Sack voller am Vorabend gebackenen Lebkuchen vor den Kindern. Das Leuchten in ihren Augen machte jede Mühe der Vorbereitung mehr als wett.

Um viele christliche Bräuche ist ein regelrechter Kulturkampf entbrannt

Inzwischen ist Nikolaus bei den Wiener Latinos ein festes Ritual im Advent geworden. Am Ende der Sonntagsmesse warte ich auf ein Zeichen des Pfarrers für meinen Auftritt, schreite dann nach vorne, etwas gebückt und humpelnd, vor allem aber lächelnd und winkend, um das Vertrauen der vielen erstaunten Augenpaare zu gewinnen. Dann wiederhole ich das einstige Spiel meiner Kinder und frage „Wer bin ich?“ in die Runde. Verlässlich sagt immer jemand: „Santa Claus“ – was ich dankbar aufgreife, um den wahren Ursprung des Weihnachtsmannes zu lüften. Es geht dann nicht um Schlitten und Rentiere, sondern um den Helfer der Kinder und Armen, den Retter in der Not und den Beschützer der Familien.

Heute stehen der Nikolaus und viele andere christliche Bräuche zur Diskussion, ein regelrechter Kulturkampf ist um sie entbrannt. Vielleicht ist die beste Antwort darauf, diese Traditionen in neuer, gewandelter Form lebendig zu halten, ihren Kern zu suchen und nicht in die Falle zu tappen, sie zu reinen Konsumfesten werden zu lassen. Denn wenn religiöse Feiern dem Leben Tiefe geben, strahlen sie auch heute noch. Heilige wie Martin, Nikolaus, Elisabeth, Maria und Don Bosco zeigen uns – wie kleine Mosaiksteine – Facetten Gottes und stehen uns als Helferinnen und Helfer zur Seite. Auch dieses Jahr hoffe ich, dass Nikolaus durch mich die Herzen der Kinder berührt. Und es wundert mich nicht, dass Nikolaus-Schulungen weiter gut nachgefragt sind: In seine Rolle zu schlüpfen, bewegt und verwandelt auch die Darsteller, darf ich alljährlich erfahren.


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