Neue Tradition
Heilige für einen Abend
Mit den üblichen Halloween-Bräuchen haben die Pernsteiners lange gefremdelt. Dann hatte die Familie eine Idee. Und machte aus dem Grusel-Event eine echte Heiligen-Party. Mit Sankt Martin mit Fahrradhelm und einer Jungfrau Maria zum Knuddeln.
veröffentlicht am 13.10.2023
Früher waren wir Mitläufer. Als wir mit unseren noch kleinen Kindern an den Stadtrand siedelten, überrollte uns der damals neue Halloweenbrauch mit voller Wucht. Sicher 30 Mal klingelte es am 31. Oktober ab der Dämmerung an der Tür, gefolgt von: „Süßes oder Saures!“ Wir begriffen damals die Chance, endlich den lange angesammelten Schleckereien-Vorrat loszuwerden. Im Jahr darauf kauften wir solche schon vorab, um nicht in Verruf zu kommen. Dann drehten wir zweimal selbst mit unseren Kids – alleine wollten wir sie auf keinen Fall lassen – Halloween-Runden in der Nachbarschaft. Wir teilten ihre Freude über den Glukose-Segen und das Schaudern über fürchterliche Masken am Weg.
Außer wohligem Grusel begleitete uns aber auch Unbehagen. Da war einerseits die Sorge um unsere Kinder, die sich schnell den umherziehenden Horden anschlossen. Ihre Jagd nach Süßem schien unersättlich und man teilte die Beute nicht fair wie etwa beim Sternsingen, sondern stritt darum. Weiters gab es da abfällige Bemerkungen über Nachbarn, die aus diversen Gründen nicht öffneten oder „nur“ mit Obst oder wenig attraktiven Bonbons herausrückten. Bedenken bereitete uns aber auch der schier ungeheure Aufwand, mit dem andere ihr Kostüm zusammengestellt oder die Häuser dekoriert hatten. So viel Phantasie, Kosten und Mühen für Horror-Feeling – ging das nicht auch anders?
Kostüme basteln aus Flohmarkt-Schätzen
Dieser reuigen Einsicht folgten dann Jahre, in denen wir uns zu Halloween daheim verschanzten: Wir schalteten in den betreffenden Stunden alle Lichter ab, verhängten die Glasflächen der Eingangstür und machten keine Geräusche, um Vorbeikommende glauben zu lassen, wir wären nicht daheim. So hockten wir also bei Kerzenlicht zusammen und versuchten, uns auf das Allerheiligenfest statt auf die Geisternacht zu besinnen. Vergebene Mühe, denn die Gesichter unserer Kinder sagten uns deutlich, dass das Opfer schier übergroß war nach der Erinnerung an ausgelassene, zuckergesättigte Partys von früher. Dazu kam ihr Drang, bei jedem Geräusch an der Tür nachzusehen, welche Hexen, Untoten und Horrorclowns gerade vorbeikamen.
Die bessere, für alle annehmbare Alternative haben wir dann endlich im Vorjahr entdeckt: Allerheiligenpartys, bei denen man sich als Heilige verkleidet. Zugegeben, die Begeisterung wuchs erst langsam, da Kinder eben aufs erste mit Harry Potter, Graf Dracula oder Darth Wader mehr verbinden als mit der frühchristlichen Märtyrerin Thekla, der kleinen Theresia von Lisieux oder dem Drachentöter Georg. Der Prozess, mit unseren Mädels zunächst eine attraktive Heiligenfigur zu suchen und dann aus Flohmarkt-Schätzen ein Kostüm zu basteln, war jedoch für alle überaus wertvoll. Wir durchpflügten gemeinsam Heiligengeschichten und überlegten, was zu wem am besten passen würde. Beide wollten Prinzessinnen und auch stark sein, so fiel ihre Wahl auf Barbara und Philomena. Die Vorfreude wuchs immer mehr.
Lust am Verwandeln
Wie staunten wir, als sich dann am Vorabend zu Allerheiligen ganze 35 in Heilige und Selige verwandelte Kinder samt ihren Eltern einfanden: Ritter Martin von Tours mit einem in Alufolie umhüllten Fahrradhelm etwa; der Prophet Jona, der noch halb im Walschlund steckte; Pater Pio mit Stigmata-beflecktem Verband um die Hand; Carlo Acutis mit Jeans, rotem Polokragen und Laptop unter dem Arm; Lucia mit einem blinkenden Christbaumlichter-Haarkranz; Clemens von Galen im Kardinalspurpur und schließlich eine dreijährige Jungfrau Maria, die einfach zum Knuddeln aussah. Es gab ein Spielefest und zuvor einen Gottesdienst, an dessen Beginn alle Verkleideten reihum auf ein Stockerl stiegen, ihren Namen riefen und alle Übrigen mit „bitte für uns!“ einstimmten.
Masken legt man nachher wieder ab und kehrt zum Alltag zurück. Dennoch beschäftigt es einen Menschen innerlich, jemand anderen darzustellen – wobei es einen Unterschied macht, ob man sich dabei in Freddy Krüger oder Mutter Teresa verwandelt. Ich bin überzeugt, dass die Lust der Kinder am Verkleiden auch den Sinn erhalten darf, das wirklich bedeutungsvolle Allerheiligenfest wieder als solches zu feiern statt als Friedhofsevent, denn für das Seelen-Gedenken gibt es ja auch noch den 2. November. Auch gegen die Verwandlung heidnischer Traditionen in christliche ist prinzipiell nichts einzuwenden, viele schöne Bräuche entstanden schließlich so.
Namenstag feiern
Seit der Heiligen-Verkleidungsparty haben wir in der Familie jedenfalls begonnen, unsere Namenstage im Kalender zu suchen und auch zu feiern. Und wenn wir beim Familien-Abendgebet eine spontane Heiligenlitanei einwerfen, sind Philomena und Barbara ab jetzt immer fix dabei. Ich bin schon gespannt, welche Himmelsbewohner sich diesmal zu Monatsende dazugesellen werden.