Ritual

Ein Segen als Boxenstopp in der Rushhour

Ein Gebet und ein Kreuzzeichen auf die Stirn gehören bei Familie Pernsteiner zur morgendlichen Verabschiedung unbedingt dazu. Was das Ritual Eltern und Kindern bedeutet und warum es für sie auch eine Herausforderung ist, erklärt Vater Hannes Pernsteiner.

veröffentlicht am 09.11.2021

Morgens zwischen 7.15 und 7.30 Uhr werden bei uns Anrufe weggedrückt, denn es ist Rushhour. Da haben unsere drei Schulkinder das Anziehen, Frühstücken sowie Zahn- und Haarbürsten zwar schon hinter sich, aber immer steht vor dem Verlassen des Hauses noch Dringendes an: In letzter Minute wollen noch Pausenbrote gestrichen, Schultaschen gepackt, Online-Supplierpläne gecheckt, Unterschriften gesetzt und Anweisungen für den Tag ausgegeben werden. Und jeden Freitag zerbricht sich unsere Jüngste den Kopf, was sie denn zum  „Spielzeugtag“ in die Klasse mitnimmt.

Inmitten des Trubels, der in der kalten Zeit mit ihren Jacken, Schals, Hauben und Stiefeln länger dauert und zu dem nun auch die Erinnerung an die FFP2-Maske gehört, gibt es ein kurzes Innehalten. Niemand soll das Haus ohne Segen verlassen, darauf achten meine Frau oder ich, wer eben zur Stelle ist und das Verabschieden übernimmt. Dazu drehen wir uns mit den Kindern zum Christus-Bild im Eingangsflur, sprechen ein kurzes Segensgebet, tauchen den Daumen in den Weihwasserkessel und zeichnen jedem mit „Es segne dich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist“ unser Glaubenssymbol auf die Stirn. Noch ein „Adios!“ und ein Kuss, dann stürmt unser Nachwuchs los richtung Bus.

Mehr als „Ich drück dir die Daumen“

So zumindest die Theorie. In der Praxis trödelt eines unserer Kinder so lange, bis der Nachbarsjunge anläutet und vor der Tür wartet. Ein anderes kommt lieber überpünktlich zur selben Schule, ist deshalb schon zehn Minuten zuvor startklar und drängt: „Können wir jetzt endlich beten?“ Statt alle gemeinsam fortzuschicken darf ich daher gleich dreimal in Serie segnen. Und muss bei unserem 13-Jährigen stets achtgeben, nicht die akribisch mit Gel zur Welle gestylten Vorderhaare zu berühren.

Den 20-Sekunden-Boxenstopp legen wir ein, da wir absolut sicher sind, dass das Segnen viel mehr ist als ein „Ich drück dir die Daumen“, „Toi toi toi“ oder ein Entschleunigungs- und Beruhigungsritual. Es hebt den Alltag auf eine andere Ebene und erinnert uns, dass wir Christen sind, geliebte Kinder Gottes, in dessen Vertretung wir Eltern die Kinder ins Leben entsenden dürfen. Trotz aller Vorkehrungen können wir sie auf der Straße, im Internet oder vor Krankheiten nicht beschützen, ihnen während Prüfungen und gegenüber schwierigen Mitschülern nicht beistehen, können nicht beraten, ermahnen, trösten und ermutigen, wenn wir woanders sind. Gott aber kann. Er hört unsere Wünsche und handelt im Wissen, was richtig ist.

Den Segen vergessen? Ab zurück ins Haus!

Das Segnen fordert auch heraus. Es verträgt sich nicht, wenn wir Eltern Gutes erbitten – das heißt der lateinische Begriff „benedicere“ ja –, sonst aber nörgeln, entmutigen und hinterrücks schlecht reden. Und Konsequenz sollte bei uns selbst beginnen. „Papa, hast du eh schon gebetet?“, höre ich von unserer Jüngsten, wenn ich an schulfreien Tagen als erster das Haus verlassen und in der Eile eine Abkürzung gemacht habe. Also nochmals zurück, kurze Besinnung, dann bekreuzen mich ihre benetzten Finger. Kürzlich hat sie einen winzigen Weihbrunnkessel erstanden, den ich über ihrem Bett annageln musste. „Ihr könnt euch alle bedienen!“, lädt sie beim Abendgebet ein. Um das wöchentliche Nachfüllen kümmert sie sich selbst.


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