Sternenkind

Eine Fehlgeburt – und wie der Glaube uns tröstet

Unser Autor und seine Familie hatten sich riesig gefreut: Noch ein Baby! Doch dann gab es Komplikationen. Die Schwangerschaft endete. Hannes Pernsteiner über Leben, Tod und die Hoffnung auf ein Danach.

veröffentlicht am 07.11.2022

Die intensivste Zeit dieses Jahres erlebten wir im Sommer, als bei meiner Frau während des Familienurlaubs die Regel ausblieb und der Schwangerschaftstest die lange gehegte Hoffnung auf ein viertes Kind bestätigte. Wir konnten unser Glück kaum fassen, nach all dem Herbeisehnen, Beten und Warten. Zugleich wussten wir um das Risiko einer späten Mutterschaft. Den Gedanken, mit der Eröffnung an unsere drei schon geborenen Kinder deshalb noch etwas zu warten, verwarfen wir aber rasch: Wir wollten Freude und Sorge mit ihnen teilen und spürten, dass wir ihre spirituelle wie auch praktische Hilfe brauchten. Der Festschmaus im Restaurant, bei dem sie es erfuhren, wird uns allen stets in Erinnerung bleiben – ihr Jubel und auch die zehn Minuten, in denen sich unsere damals knapp Neunjährige am Klo die Trauer darüber ausweinte, nun nicht mehr das Nesthäkchen zu sein.

Schon bei der Fußwanderung zurück in die Ferienunterkunft trug unser Ältester – mittlerweile 14 – Mamas Rucksack, während seine beiden Schwestern vom Babybaden und -füttern träumten und die zukünftige Zimmeraufteilung zuhause besprachen. Der noch unsichtbare Babybauch erhielt fortan in jedem Gottesdienst fünf Friedensgruß-Umarmungen. Viel Liebe, Vorfreude und Zuversicht lagen in der Luft, und selbst bei uns Eltern war alles Trübsal ob der Weltlage einem starkem Friedensmut und Glauben an die Zukunft gewichen. Wir fühlten uns unserem Schöpfer so nahe, der mit jedem neuen Leben Segen schenkt, sein Vertrauen in die Menschheit bekundet und uns an seinem Tun teilhaben lässt. An ihn wandten wir uns auch, als bei meiner Frau kurz vor der Rückkehr aus dem Urlaub Blutungen einsetzten, zuerst schwach, dann stärker. Es wird nichts Schlimmes sein, war ich sicher.

„Sie sind jetzt nicht mehr schwanger“

„Es könnte ein Spontanabort sein“, holte uns gleich nach der Rückkehr die Frauenärztin, die im Gebärmutter-Ultraschall keine eingenistete Eizelle finden konnte, auf den Boden zurück. Mit Verdacht auf Eileiterschwangerschaft schickte sie uns ins Spital, wo wir mit Beta-HCG Bekanntschaft schlossen: Ein Hormon im Blut, das die Entwicklung der Gravidität anzeigt. Bei fünf Spitalsterminen binnen drei ziemlich belastenden Wochen – die Blutungen dauerten inzwischen fort – stieg dieser Wert anfangs weiter an, stagnierte dann und fiel schließlich auf Null ab. „Sie sind jetzt nicht mehr schwanger“, hörten wir beim letzten Ambulanzbesuch, und die Krankenschwester gratulierte meiner Frau sogar. Mir wurde schwindelig und ich musste mich setzen. Positiv schien mir nur, dass uns eine durch etwaige Komplikationen erzwungene eigene Entscheidung über Leben und Tod erspart blieb.

In unseren Köpfen rotierte es. Wo war unser Kind jetzt? War es ein Bub oder ein Mädchen? Wann genau hat es den Bauch meiner Frau verlassen? Und warum? Was hatten wir falsch gemacht? War das wirklich Gottes Plan? Unsere Gefühls-Achterbahnfahrt erreichte nun die Talstrecke, und jeder ging anders damit um. Weil wir andere nicht belasten und unbedarften Reaktionen aus dem Weg gehen wollten, hatten wir zuvor nur eine Handvoll Freunde eingeweiht, die uns zunächst Mut gemacht und für uns gebetet hatten und auch jetzt unser Leid mittrugen. Ich selbst hatte schon früh begonnen, in einem Tagebuch alle Erlebnisse und Empfindungen – Freude, Liebe und nun Trauer – zu verschriftlichen, um mit ihnen die Erinnerung an unser viertes Kind am Leben zu halten. Wir wollten ihm einen Fixplatz in unserer Familie geben, hatten dabei aber nicht einmal ein Ultraschallfoto.

Unser Schatz im Himmel

Schier unglaubliche Stärke bewies meine Frau. „Unsere erste und schwierigste Aufgabe als Eltern ist, den Kindern den Weg zum Himmel zu weisen. Bei einem haben wir es schon geschafft“, sagte sie mir, und unseren lebenden Kindern: „Betet zu eurem Geschwisterchen, es ist ja jetzt schon bei Gott!“ Unvergesslich bleibt aber auch jenes Familien-Abendgebet, als bei ihr und unserer ältesten Tochter dann doch die Tränen in Bächen hervorstürzten. „Bisher warteten wir auf unser Baby, und nun ist es umgekehrt“, kam es unserem Ältesten. Seine zweite Schwester verpackte dies in eine Zeichnung von unserer Familie am Himmelstor, die wie von einem auf der Ziellinie freudig herumhüpfenden Geschwisterchen in Bohnengröße empfangen wird. Dann schnappte sie ihr Akkordeon und trällerte ausgelassen alle Traurigkeit beiseite, mit einem improvisierten „Unser Baby ist im Himmel!“

Mehr als nur Vertröstung war dann auch die Taufe, die wir noch am selben Abend vollzogen. Bevor wir in Ermangelung des Täuflings Mamas Bauch mit Wasser und einem Kreuz bezeichneten, mussten wir freilich ein wesentliches Detail klären. „Es war ein Bub“, meinte meine Frau, erntete damit aber bei unserer nun Zweitjüngsten Widerspruch. Die Pfarrsekretärin war die erste, die den Namen „Johannes Maria Charbel“ niederschrieb – im Kalender der Messintentionen, worauf dann Tage darauf die ganze Gottesdienstgemeinde für unser Kind und für alle vor der Geburt verstorbenen Kinder betete. Heute empfinden wir großen Frieden und sind dankbar für unseren Schatz im Himmel, auch wenn wir den Sinn des Geschehenen noch nicht erkennen. Er ist bei uns weiter präsent – bei jedem Abendgebet, wenn wir alle „für Johannes“ danken, nur seine zweite Schwester beharrlich „für Maria“. Eines Tages, so hoffen wir, werden wir erfahren, wer recht hatte. Und dabei alle lachen.


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