Vom Kind zum Erwachsenen

Die Feier der Lebenswende als Übergangsritual für Jugendliche

Sie wird von der Kirche organisiert, richtet sich aber an konfessionslose Jugendliche: Die Feier der Lebenswende boomt in vielen ostdeutschen Städten. Die Idee dazu kam aus Erfurt. Über die Anfänge und Intentionen des Erfolgsprojektes.

veröffentlicht am 12.11.2024

Seit 1998 gibt es in Erfurt die Feier der Lebenswende für Jugendliche. Das Bistum war damit Vorreiter für dieses Format. Wie kam es dazu?
Dieses Projekt entstand an unserer Edith-Stein-Schule, einem katholischen Gymnasium mit Regelschulzweig. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler hier ihr Abitur, ihren Real- oder Hauptschulabschluss erlangen können. Viele Jugendliche der Edith-Stein-Schule gehen ab der 8. Klasse zur Firmung, und irgendwann kam die Frage auf, welches Angebot wir eigentlich Jugendlichen, die nicht katholisch sind, machen können. Weihbischof Reinhard Hauke hat dann mit einigen Jugendlichen zusammen die Feier der Lebenswende entwickelt und mittlerweile ist sie erfolgreich etabliert. Pro Jahr haben wir drei bis vier Feiern, an denen zwischen 15 und 20 Jugendliche teilnehmen. Außerdem haben andere Städte wie Halle, Berlin oder Magdeburg das Format aufgegriffen.

Warum muss Kirche überhaupt ein Angebot für konfessionslose Jugendliche schaffen?
Gerade in den ostdeutschen Bundesländern ist die Jugendweihe ja noch sehr verbreitet. Die Jugendweihe und die Feier der Lebenswende haben unterschiedliche Ansätze. Die Jugendweihe ist eine völlig atheistische Feier, während die Feier der Lebenswende sich christlichen Werten annähert. Das bedeutet: Manche Eltern sind zwar nicht getauft, orientieren sich aber an den christlichen Werten und möchten diese ihren Kindern vermitteln. Das sind Eltern, die wünschen sich – vorsichtig gesprochen – ein bisschen mehr vom Leben, aber nicht gleich die Kirchenmitgliedschaft. Da ist die Feier der Lebenswende das passende Angebot.

Ein weiterer Unterschied ist, dass unser Projekt ganz anders aufgebaut ist. Bei uns werden die Jugendlichen schon in der Vorbereitung viel stärker miteingebunden. Wir bieten den Raum, die Erfahrung und das Personal, aber die Texte und Ideen für die Feier werden gemeinsam mit den Jugendlichen erarbeitet. Deshalb treffen wir uns relativ häufig vor der Feier der Lebenswende – mindestens acht Mal. Wir sprechen über die Vergangenheit, die Gegenwart, über Wünsche für die Zukunft und den Umgang mit problematischen Situationen, die uns traurig machen. Meistens integrieren wir auch ein soziales Thema und besuchen zum Beispiel eine Suppenküche für Obdachlose oder einen offenen Treff für Geflüchtete.

Und wie läuft die Feier der Lebenswende ab? Was steht da im Mittelpunkt?
Die Feier der Lebenswende ist eine liturgieähnliche Feier. Es ist kein Gottesdienst, aber die Abfolge erinnert ein wenig daran. Es geht los mit Musik und einer Begrüßung. Die Jugendlichen stellen sich kurz vor – und zwar mit einem Gegenstand, der möglichst intensiv etwas über sie und ihre Kindheit erzählt. Das kann zum Beispiel ein Basketball oder ein Kuscheltier sein. Ganz am Schluss sagen sie, wem sie für ihre eigene Entwicklung dankbar sind, und diesem Menschen überreichen sie eine Rose.

Auf die Begrüßung folgen etwa fünf Texte, die aus den Vorbereitungstreffen heraus entstanden sind. Ein weiteres wichtiges Element sind die sogenannten Lichtblicke – also die Hoffnungen und Wünsche, die die jungen Menschen für ihre Zukunft haben. Gegen Ende der Feier wird eine Kerze, die die Jugendlichen selbst gestaltet haben, von ihrem erwachsenen Wunschbegleiter entzündet und überreicht. Zum Abschluss gibt es Glückwünsche, eine Urkunde und einen Segen.

Wichtig ist uns, dass sich die Jugendlichen mit ihren eigenen Fähigkeiten in die Feier einbringen. Das wird besonders im musikalischen Bereich gemacht. Darüber freuen wir uns immer sehr.

Jetzt soll dieses Angebot nicht missionieren und niemandem ungewollt den Glauben überstülpen. Wie hält man Gott da raus und wo scheint er doch ab und an durch?
Um ein bewusstes Raushalten geht es da gar nicht. Die Eltern sowie die Jugendlichen wissen, dass wir uns in einem kirchlichen Feld bewegen. Aber wir machen das nicht zum Mittelpunkt. Wenn die Jugendlichen beispielsweise ihre Kerze für die Feier der Lebenswende gestalten, kommt die Frage nach der Lichtsymbolik auf. Die interpretieren wir als christliche Menschen natürlich noch einmal ganz anders. Das wird kurz thematisiert, indem wir sagen, was es für die Christen bedeutet und was es jetzt für die Jugendlichen bei der Feier der Lebenswende bedeuten soll. Nicht mehr und nicht weniger.

Kommt es denn vor, dass die Jugendlichen von sich aus das Thema Glaube aufgreifen und dazu Fragen stellen?
Das kommt nur ganz selten vor – meistens erst dann, wenn wir in die Kirche zum Proben gehen. Da wird mal gefragt, was dies oder jenes ist. Aber das sind keine Fragen, die einem tiefen Interesse an Glauben entspringen. Die Jugendlichen tauchen nach der Feier auch nicht einfach so in einem normalen Gottesdienst auf. Im Nachgang habe ich es schon erlebt, dass Jugendliche gefragt haben, wie es wäre, wenn sie getauft werden wollten. Aber das bewegt sich wirklich im Ein-Prozent-Bereich. Das ist auch vollkommen in Ordnung, denn die Feier der Lebenswende hat keinen missionarischen Charakter.

Lassen sich im Bistum Erfurt mehr Jugendliche firmen oder kommen mehr zur Feier der Lebenswende?
Von der Gesamtzahl sind die jungen Leute, die zur Firmung gehen, bedeutend mehr. Dazu muss man aber sagen, dass es die Feier der Lebenswende in unserem Bistum nur in den Städten Erfurt und Jena gibt. Wenn wir jetzt nur Erfurt betrachten, sind wir fast ausgewogen unterwegs. Es sind ein bisschen mehr, die zur Firmung gehen, aber nicht wesentlich.

Ruft das bei manchen Kritik hervor?
Nein, überhaupt nicht. Da ist eine große Offenheit. Viele sind eher positiv erstaunt, dass wir das für konfessionslose Jugendliche anbieten. Ganz am Anfang gab es auf Seiten der evangelischen Kolleginnen und Kollegen kurz die Befürchtung, dass die Zahl der Konfirmanden zurückgehen könnte. Aber da gibt es keinen Zusammenhang.

Ob kirchlich geprägt oder nicht – wieso brauchen Jugendliche überhaupt ein Übergangsritual?
Übergangsrituale spielen generell im Leben von uns Menschen eine große Rolle. Dabei geht es darum, etwas bewusst zu verabschieden, um Neuem Raum zu geben – in dem Fall, ein Stück weit die Kindheit hinter sich zu lassen und sich zu überlegen, wie man die Zukunft gestalten möchte. Wie groß dieses Bedürfnis nach sogenannten Initiationsritualen ist, zeigt die Menge und Kreativität der Angebote. Ein Jugendlicher hat sich einmal von der Feier der Lebenswende abgemeldet, weil er stattdessen ein WalkAway gemacht hat. Da sind die Jugendlichen eine gewisse Zeit lang allein im Wald und müssen verschiedene Herausforderungen meistern. Dahinter steckt der Wunsch nach Anerkennung von den Eltern und Freunden. Sie sehen, dass ihr Kind das geschafft hat und nun ein erwachsenwerdender Jugendlicher ist. Solche Übergangsrituale helfen, die Jugendlichen in ihrer Persönlichkeit zu stärken.

Im Moment wird die Feier der Lebenswende vor allem in Ostdeutschland angeboten. 2025 soll sie zum ersten Mal in Hannover gefeiert werden. Hat die Lebenswende bundesweit eine Zukunft?
Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht fällt es in Ostdeutschland etwas leichter, weil wir ein Diasporagebiet sind und die Jugendweihe schon länger durchgeführt wird. Somit besteht bei uns eine größere Aufmerksamkeit für unterschiedliche Feierformen für Jugendliche, die nicht getauft sind. Prinzipiell kann das aber überall funktionieren, wenn an dem jeweiligen Ort ein Bedarf besteht und die Organisatoren Freude daran haben. Bei uns ist das so. Ich mache das mit unseren ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wirklich sehr gerne. Für uns ist das keine Last, sondern wir entdecken einen Sinn darin und agieren mit viel Spaß an der Sache. Es muss einem aber von Anfang an klar sein, dass die Feier der Lebenswende kein kirchliches Angebot ergänzt. Es ist ein Angebot in sich und nicht die Hinführung zu etwas. Wenn es zu Ende ist, ist es zu Ende. Wir entlassen die jungen Menschen in die von ihnen gewählte Freiheit – dazu befähigt es sehr gut.

Porträt Michael Neudert

Michael Neudert ist Pfarrer und Kooperator in der Erfurter Gemeinde Sankt Laurentius. Seit 15 Jahren organisiert er die Feiern der Lebenswende und hat so schon bis zu 50 Feiern miterlebt.


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