Freiwilliges Ordensjahr
Ordensleben auf Zeit: „Es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe“
Bis zu zwölf Monate in einem Orden wie den Salesianern Don Boscos mitleben: Das ermöglicht seit 2019 das Freiwillige Ordensjahr. Warum sich Orden so öffnen, erklärt Koordinatorin Sr. Joanna Jimin Lee von der Deutschen Ordensobernkonferenz.
veröffentlicht am 29.05.2024
Das Freiwillige Ordensjahr bietet die Möglichkeit, für eine begrenzte Zeit in einem Orden mitzuleben. Warum öffnen sich die beteiligten Orden für Außenstehende?
Wir als Ordensgemeinschaften sind der Ansicht, dass es sich lohnt, dass wir uns auf die Begegnung einlassen und unser Leben teilen. Dadurch können wir auch Impulse von außen empfangen. Aber vor allen Dingen macht es uns Freude, unser Tun und das, was uns wichtig ist, weiterzugeben. Die Grundpfeiler des Freiwilligen Ordensjahrs sind: Mitleben, Mitbeten, Mitarbeiten und Mitlernen. Es geht um eine Begegnung auf Augenhöhe, dass wir miteinander lernen, voneinander lernen.
Was unterscheidet das Ordensjahr außer der Länge von anderen Angeboten von Klöstern und Ordensgemeinschaften?
Das Mitleben in einem Orden für kurze Zeit gibt es schon immer. Bei Angeboten wie Kloster auf Zeit oder Gast im Kloster können Interessierte teilweise für eine oder zwei Wochen mitleben und mitarbeiten. Da kann man sich unter Rücksprache das passende Programm aussuchen. Das Ordensjahr bietet die Möglichkeit, noch mehr in das Gemeinschaftsleben einzusteigen. Man verpflichtet sich freiwillig, alle gemeinsamen Termine wahrzunehmen: Gebetszeiten, Mahlzeiten und Gemeinschaftstermine.
Der Gedanke ist also, den Ordensalltag stärker in den Fokus zu rücken?
Genau. Das Ordensjahr ist eine bewusst niederschwellige, aber auch ernstzunehmende Einladung, in dieses Ordensleben einzutauchen. Wir verlangen aber nicht, dass man innerhalb eines kurzen Zeitraums plötzlich Ordensmann oder -frau wird. Die Gemeinschaft muss für sich auch einige Termine festlegen, in denen sie sich alleine untereinander besprechen können. Das wird auch transparent kommuniziert. Aber alle sonstigen Termine, eben die Struktur des Alltags der Gemeinschaft, sind Teil des Ordensjahrs. Das ist auch das, was die meisten Interessierten suchen, weil sie diesen Rhythmus im Gebet und im Tun schon vorher als heilsam und sinnvoll erlebt haben.
Gibt es Teilnehmerinnen oder Teilnehmer des Ordensjahrs, die im Anschluss auch in einen Orden eingetreten sind?
Ja, das ist kein Einzelfall. Aber die meisten machen ein Ordensjahr nicht, weil sie sich für sich selbst für den Ordensweg interessieren. Und das ist auch nicht der Fokus des Ordensjahrs. Sondern wir freuen uns über die Begegnung und die Bereicherung. Wenn das als Nebeneffekt dann auch dazu führt, dass jemand dann wirklich ein dauerhaftes Mitglied wird, dann ist die Freude umso größer. Aber die Orden haben auch ihre Erfüllung daran, ihr Leben weitergeben zu können und andere teilhaben zu lassen.
Für wen ist das Freiwillige Ordensjahr gedacht?
Das beginnt mit jungen Menschen ab 18 Jahren, die sich überlegen, was sie eigentlich im Leben machen möchten. Sie werden im Ordensjahr begleitet und gehen mit der Gemeinschaft Hand in Hand im vertrauten Austausch. Im Gefüge und Rhythmus der Gemeinschaft können sie einen Raum suchen, um sich zu orientieren. Dann gibt es Leute, die sich mitten im Leben fragen, ob sie noch auf dem richtigen Kurs sind. Diese Menschen können drei Monate Auszeit nehmen mit gesammelten Überstunden und vielleicht einem Monat unbezahltem Urlaub. So lässt sich das Ordensjahr auch zwischendrin als Auszeit gestalten – einmal aussteigen und mit etwas mehr Raum aus dem Alltag raus, aufgehoben in der Gemeinschaft und in Gebets- und Rhythmusstrukturen. Und es gibt Menschen, die die Rente vor sich haben und sich für ihr restliches Leben noch mal orientieren wollen.
Muss ich katholisch sein, um ein Freiwilliges Ordensjahr zu machen?
Wir setzen zwar nicht voraus, katholisch zu sein oder christlich zu praktizieren. Weil ein Orden ein Umfeld von praktizierenden Menschen ist, achte ich aber darauf, dass die Interessentinnen und Interessenten sich nicht nur orientieren wollen, sondern tatsächlich eine Ahnung haben, dass es da etwas gibt. Im Ordensjahr geschieht eine Glaubensvertiefung. Eine junge Frau hat es so formuliert: Sie hat sich so viele Dinge gefragt: die Frage nach Gott und dem Sinn. Jetzt haben die Fragen nicht aufgehört, aber sie hat angefangen, diese Fragen anzunehmen und sich mit den Fragen anzufreunden. Die Beziehung zu Gott, zur Welt und zu sich ist jetzt eine andere geworden, viel friedlicher und hoffnungsvoller.
Können die Teilnehmenden während dieser Zeit weiterhin ihrem Studium oder ihrem Beruf nachgehen?
Es ist eine Entscheidung von Fall zu Fall. Möglich ist es vor allem dort, wo gemischte Berufe im Konvent vorhanden sind. Da sind die Mitglieder der Gemeinschaft selber nicht immer auf dem Klostergelände, sondern gehen nach außen, kommen aber auch wieder zusammen. Was wir nicht leisten können, ist, eine Verlegenheitslösung zu sein. Aber es gibt auch Möglichkeiten, dass die Klostergemeinschaft jemanden geringfügig anstellt und somit einen Versicherungsstatus während des Ordensjahres schafft. An manchen Orten wird das Ordensjahr auch in Verbindung mit einem Bundesfreiwilligendienst oder einem Freiwilligen Sozialen Jahr angeboten. So werden Wege gesucht und geschaffen.
Entstehen den Teilnehmenden Kosten?
Das Ordensjahr folgt dem Plus-Minus-Null-Prinzip. Weder die Gemeinschaft noch die teilnehmende Person soll etwas verlieren; sie sollen aber auch nicht Gewinn daraus machen. Mitarbeit führt zum Beispiel zu Kost und Logis. Wenn jemand woanders arbeitet, dann bekommt die Ordensgemeinschaft hoffentlich auch etwas.
Der Name Freiwilliges Ordensjahr erinnert an das schon angesprochene Freiwillige Soziale Jahr. Gibt es Parallelen?
Teilweise. Vor allem bei den Fortbildungen, die wir Ordensjahr-Wochenende nennen. Dreimal im Jahr kommen die Teilnehmenden zusammen, um zu reflektieren und sich auszutauschen. Das ist wirklich sehr bereichernd.
Wie wird das Ordensjahr bislang angenommen?
Bis heute haben 85 Menschen das Freiwillige Ordensjahr entweder schon absolviert oder fix vereinbart. Etwa 35 von ihnen sind jünger als 35 Jahre. Es gibt viel mehr Interesse, als wir verarbeiten können. Auch, weil mir wichtig ist, die Personen gezielt zu vermitteln. Die Teilnehmenden und die Ordensgemeinschaft müssen zueinander passen. Seit ich jetzt im Dienst bin, das ist seit April letzten Jahres, zähle ich 200 Anfragen. Davon habe ich 30 Menschen vermittelt, also 15 Prozent.