Zukunft der Kirche

„Die ideale Kirche” – Abiturientin startet Umfrage in Pfarrverband

Oberministrantin, Firmbegleiterin, Kantorin: Vera Fath engagiert sich gerne in der Kirche. Doch sie hält einen Wandel für zwingend notwendig. Mit einer Umfrage in ihrer Münchener Heimatpfarrei wollte sie herausfinden, ob das andere genauso sehen.

veröffentlicht am 31.03.2022

„Die ideale Kirche“ – so haben Sie eine Umfrage genannt, die Sie im Münchener Pfarrverband Haidhausen durchgeführt haben. Wie kam es zu diesem Projekt?
Die Idee ist aus einem Gespräch mit einer Freundin aus dem Pfarrverband entstanden. Wir hatten uns darüber unterhalten, was uns an der Kirche stört und was wir gerne ändern würden – und uns hat interessiert, wie unsere Gemeinde darüber denkt. Zuerst haben wir mit Jugendlichen genau dazu einen Themengottesdienst veranstaltet und dort Fragebögen ausgeteilt. Die Antworten der Jugendlichen haben wir als Orientierung genommen, um den allgemeinen Gemeindefragebogen zu erstellen, den wir hauptsächlich in den Gemeinden ausgelegt und zum Teil auch online zur Verfügung gestellt haben. Mitgemacht haben am Ende 132 Gemeindemitglieder.

Sie haben verschiedene Themenkomplexe abgefragt. Eine Frage lautete, welche Themen im Gottesdienst angesprochen werden sollen. Gibt es da ein einigermaßen einheitliches Stimmungsbild?
An erster Stelle standen sozusagen die klassischen Themen. Die meisten wünschten sich als Thema im Gottesdienst das christliche Menschenbild und den Umgang mit Leid beziehungsweise die Bewältigung von Schicksalsschlägen. Darauf folgten gesellschaftskritische Themen wie die Kommunikation zwischen Kulturen und Rassismus, dann auch Politik und Sexismus sowie der Umgang mit der Natur. Mich hat daran gefreut, dass auch diese Themen, die sich vor allem die Jugendlichen gewünscht hatten, hier wieder auftauchten. Außerdem wünschten sich die Befragten mehr alltägliche Bezüge zum Glauben.

Eine weitere Frage zielte auf die gewünschten Eigenschaften eines Seelsorgers bzw. einer Seelsorgerin ab. Welche Wünsche wurden da am häufigsten genannt?
Die Sorge für die Gemeinde und das Interesse am Menschen wurden hier am häufigsten genannt. Weiter wünschten sich die Befragten jemanden, der Empathie zeigt, Menschenkenntnis hat und freundlich im Umgang ist. Was ich spannend fand, war, dass darauf gleich folgte, dass der- oder diejenige weltgewandt und tolerant sein sollte. Auch ein Interesse am Wandel wurde genannt.

Auch die viel diskutierten und umstrittenen Themen in der Kirche wie der Umgang mit Homosexualität, dem Zölibat und möglichen Weiheämtern bei Frauen wurden abgefragt. Die Antworten werden in diesen Punkten wahrscheinlich recht divers gewesen sein.
Am weitesten auseinander gingen die Antworten bei der Frage, wie Kirche mit Homosexualität umgehen soll. 47 Prozent wünschten sich hier Akzeptanz, nur 6 Prozent wollten sie als sündhaftes Verhalten bewertet wissen oder standen dem Ganzen ablehnend gegenüber.

Bei der Frage nach dem Zölibat war es tatsächlich so, dass sich 63 Prozent dafür ausgesprochen haben, dass es freiwillig sein sollte, und 32 Prozent der Leute, die diese Frage beantwortet haben, sprachen sich sogar für die Abschaffung aus.

Die einheitlichste Antwort kam bei der Frage nach der Öffnung der Weiheämter für Frauen. 125 Leute haben diese Frage beantwortet und 70 Prozent davon befürworteten eine solche Öffnung.

Was ist für Sie jetzt das Gesamtergebnis der Umfrage?
Insgesamt hat sich herausgestellt, dass es eine große Unzufriedenheit mit dem derzeitigen Zustand der Kirche gibt. 61 Prozent aller Befragten gaben dies so an. Außerdem ist für mich ein weiteres Ergebnis, dass ein echtes Interesse am Dialog besteht. Ich habe viel rückgemeldet bekommen, dass sich die Gemeindemitglieder wirklich gefreut haben, dass sie überhaupt einmal nach ihrer Meinung gefragt wurden.

Die Umfrage wurde durchgeführt und ausgewertet, aber was passiert jetzt damit?
Der Pfarrverbandsrat will die Ergebnisse ausführlich reflektieren, um danach zu entscheiden, was sich ganz konkret im Pfarrverband umsetzen und verändern lässt. Die Umfrageergebnisse sollen also nicht einfach in der Schublade landen. Sie sollen zeigen, dass Kommunikation in der Kirche nicht nur von oben nach unten funktioniert, sondern auch in die andere Richtung. Es ist wichtig, die Basis miteinzubeziehen und sie zu fragen, wie sie sich Kirche vorstellt und sie leben möchte.

„Die ideale Kirche“ – wie sieht sie ganz persönlich für Sie aus?
Mir wären vier Dinge wichtig. Erstens würde ich gerne mit der Spaltung in unserer Kirche aufräumen und einen sehr offenen Dialog zwischen den verschiedenen Gruppierungen herstellen. Zweitens würde ich mir einen toleranten Umgang beim Thema Homosexualität wünschen und mehr Möglichkeiten für Frauen in der Kirche, die sich dazu berufen fühlen, einen höheren Dienst in der Seelsorge einzunehmen. Und drittens denke ich, dass viel mehr auf Gemeindeebene funktionieren kann und sollte, denn dort sind die Menschen, die die Kirche ausmachen. Die Kirche – das ist nicht nur die Institution. Die Kirche – das sind in erster Linie wir alle und wir alle sollten auch unseren Teil dazu beitragen. Ich finde es sehr schade, dass vor allem die Jugend die Kirche verlässt, dass Kirche für sie keine Heimat mehr ist, kein Ort, wo sie sich treffen, austauschen und diskutieren können. Und daher schließe ich einen vierten Wunsch für eine ideale Kirche an: Sie muss ein offener Raum sein, in den Jugendliche so kommen können, wie sie sind, wie sie sich fühlen, in dem sie einfach sie selbst sein können und angenommen werden.

Porträt Vera Fath

Die 20-jährige Vera Fath studiert im ersten Semester Psychologie in Freiburg. Die Umfrage im Münchener Pfarrverband Haidhausen hat sie noch als Abiturientin durchgeführt. Pfarradministrator ist Salesianerpater Alfons Friedrich, der auch Chefredakteur des Don Bosco Magazins ist.


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