Psychische Gesundheit

Wie es Kindern und Jugendlichen im Zeichen globaler Krisen geht

Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten, der Klimawandel und die Nachwirkungen der Pandemie: Wie es angesichts dieser Krisen um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen steht, erklärt Psychologin Hanna Christiansen.

veröffentlicht am 25.02.2025

In einem Interview 2021 mit uns haben Sie darauf hingewiesen, dass psychische Auffälligkeiten, insbesondere Ängste und Depressionen, unter jungen Menschen in der Corona-Zeit deutlich zugenommen hatten. War das ein reines Pandemiephänomen oder sind die Zahlen heute ähnlich hoch?
Nach der COPSY-Studie zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen seit Corona sind die Zahlen jetzt wieder rückläufig, nachdem sie kurzzeitig auf über 30 Prozent angestiegen waren. Wir haben aber mit einem Wert von 22 Prozent immer noch ein deutlich höheres Niveau als vor Corona. Und wir sehen auch einen weltweiten Anstieg psychischer Belastungen.

Gibt es eine wissenschaftliche Erklärung für die nach wie vor hohen Zahlen?
Zum einen sind das natürlich Kinder und Jugendliche, die durch Corona belastet wurden und sich noch nicht wieder erholt haben. Zum andern sind kritische Übergänge häufig beeinträchtigt worden, also zum Beispiel vom Kindergarten in die Grundschule, von der Grundschule in die weiterführende Schule oder der Schulabschluss. Gerade bei den Kindern und Jugendlichen, die schon vor Corona zum Beispiel ängstlich belastet waren, sehen wir, dass sich das verstärkt hat. Generell muss ich aber sagen, dass wir trotz repräsentativer Studien und Erhebungen ein ziemlich schlechtes Datenwissen haben. Wenn wir wirklich wissen wollen, wie es unseren Kindern und Jugendlichen geht, brauchen wir ein Monitoring der psychischen Gesundheit. Wir müssten das mit viel größer Regelmäßigkeit und mit größeren Stichproben erheben.

Welche Rolle spielen globale Konflikte bei psychischen Belastungen?
Je näher die Krise oder die Belastung ist, desto höher sind auch die Auswirkungen. COVID hat uns alle unmittelbar im Nahfeld betroffen, auch die Kinder und Jugendlichen. Wir wissen, dass es besondere Belastungsfaktoren waren, wenn die Eltern in systemrelevanten Berufen gearbeitet haben und Kontakt zu Personen hatten, die an COVID erkrankt waren oder sogar daran gestorben sind. Der Konflikt in Israel hat viele erschüttert, aber der Nahe Osten ist weit weg. Die Ukraine ist schon näher. Und die Klimakrise kriegen natürlich alle mit. Da verändert sich was. Diese Veränderungen sind drastisch, wenn sie zu Naturkatastrophen führen wie im Ahrtal. Davon abgesehen registrieren die Kinder und Jugendlichen vielleicht, dass es warm ist oder keinen Schnee gibt. Aber ich weiß nicht, wie bewusst sie das verarbeiten. Es gibt einige, die sich damit intensiv auseinandersetzen, zum Beispiel bei Fridays for Future. Diese Jugendlichen sind zum Teil richtig belastet und bekommen echte Panik, die wir eigentlich alle haben sollten. Gerade diese Gruppen haben auch noch mal ein erhöhtes Risiko, mit psychischen Belastungen zu reagieren.

Welche Bedeutung haben psychische Belastungen in der Kindheit und Jugend für das Erwachsenenalter?
50 Prozent aller psychischen Störungen manifestieren sich vor dem 14. Lebensjahr und 75 Prozent vor dem 24. Lebensjahr. Das heißt, psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter sind ein Schrittmacher für Störungen im Erwachsenenalter. Wer als Kind, Jugendlicher oder junger Erwachsener belastet war und keine gute Hilfe bekommen hat, hat eine hohe Wahrscheinlichkeit, mit dieser Belastung auch ins weitere Erwerbsleben zu gehen.

Was bedeutet eine Angststörung oder eine Depression für den Alltag von Kindern und Jugendlichen?
Bei einer Depression zum Beispiel gibt es einen Interessen- und Freudverlust. Das betrifft Aktivitäten, die einem vorher Spaß gemacht haben. Und es gibt eine Zunahme von Inaktivität verbunden mit sozialem Rückzug und depressiver Stimmung. Bei Kindern und Jugendlichen haben wir immer noch eine Tagesstruktur, weil sie zur Schule gehen müssen. Viele berichten aber, dass sie sich in die Schule quälen. Sie schaffen es gerade noch, am Unterricht teilzunehmen, und legen sich dann zu Hause komplett erschöpft wieder ins Bett. Wir sehen auch eine Zunahme an suizidalen Gedanken und Suizidalität vor allem im Jugendalter. Das ist sehr beunruhigend.

Gibt es genug Unterstützung für betroffene junge Menschen?
Nein, das Angebot ist nicht ausreichend. Die Wartezeiten auf Therapieplätze haben sich seit dem Beginn der Pandemie nahezu verdoppelt. Und ich glaube auch nicht, dass wir mit einem rein kurativen Angebot weiterkommen. Wir müssen viel stärker auf vernünftige Prävention setzen. Die Krankenkassen zahlen Homöopathie, Osteopathie und Anthroposophie. Effektive Präventionsprogramme zum Beispiel für Kinder mit Eltern, die eine psychische Störung haben, werden aber nicht finanziert. Wir wissen, dass eine elterliche psychische Erkrankung der größte Risikofaktor für die Entwicklung von Kindern ist, und, dass es einen großen Effekt hat, wenn wir diese Familien gezielt unterstützen. Trotzdem gehört die Unterstützung dieser Kinder nicht zum regulären Präventions- und Leistungskatalog der Krankenkassen. Unser System hat viele Schwachstellen. Wir haben gute Konzepte und Ideen. Aber es scheitert oft an Regularien. Hier müssen alle Beteiligten viel stärker miteinander ins Gespräch kommen und auch die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien einbeziehen, damit die Angebote auch angenommen werden.

Was können Betroffene tun, die nicht unmittelbar einen Therapieplatz erhalten?
Sie haben Anspruch auf eine psychotherapeutische Sprechstunde. Ohne eine solche Sprechstunde gibt es auch keinen Therapieplatz. Alle Therapeutinnen und Therapeuten sind gehalten, diese Sprechstunden vorzuhalten. Und das funktioniert auch. Das Frustrierende ist dann, dass es danach nicht weitergeht und sie wieder vor einem Flaschenhals stehen. Wenn eine bestimmte Anzahl von Praxen mit Zulassung abgesagt hat, dann können sie auch zu freien Bewerbern auf dem Markt gehen und die Kasse erstattet die Kosten. Sie haben dadurch aber natürlich eine geringere Qualitätssicherung. Das sind nicht zwangsläufig Leute mit Psychotherapieapprobation. Da kann es sehr gute Leute geben, zum Beispiel aus der systemischen Therapie. Aber es gibt natürlich auch gruselige Fälle, von denen man immer wieder in der Zeitung liest. Für Eltern und Kinder ist das schwer einzuschätzen. Deshalb bräuchte es einen Fahrplan, woran ich erkenne, dass jemand gute Arbeit macht.

Wenn wir einmal über den Bereich konkreter psychischer Erkrankungen und Störungen hinausschauen, würden Sie sagen, es geht den jungen Menschen aktuell gut?
Kinder und Jugendliche sind ja zum Glück resilient und haben Schutzfaktoren. Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Reichtum wirklich groß ist. Wir haben Zugang zu gesunder Nahrung und gesundem Wasser. Wir haben ein funktionierendes Krankensystem. Insofern würde ich sagen, dass es einer Vielzahl der Jugendlichen gut geht. Das zeigen auch die Daten. 75 Prozent geben an, dass sie nicht belastet sind. Aber wir haben eben auch den Anteil, der belastet ist. Um diese Kinder und Jugendlichen müssen wir uns kümmern. Und wir brauchen Strategien, die uns auf weitere Krisen vorbereiten: Was machen wir, wenn es zu einer weiteren Pandemie kommt? Was machen wir mit den Auswirkungen des Klimawandels? Was machen wir, wenn ein Krieg noch näher rückt? Das sind auch Faktoren, die Kinder und Jugendliche belasten. Die Kinder und Jugendlichen sind die Zukunft unserer Gesellschaft, und wenn uns das wegbricht, hat die Gesellschaft ein Problem. Wenn viele Politikerinnen und Politiker auch keine ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger mehr hier haben wollen und wir nur wenige Kinder haben, wer trägt dann die zukünftige Gesellschaft? Wir bürden unseren Kindern und Jugendlichen im Moment extrem viel Verantwortung auf.


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