Schwangerschaft und Geburt
„Früher musste man die Geburt einfach nur überleben. Heute muss man dabei noch performen“
Frauenärztin Katharina Lüdemann spricht darüber, wie der medizinische Fortschritt die natürliche Geburt beeinflusst. Sie erklärt, unter welchem Druck werdende Mütter stehen und wie sie sich auf die Entbindung vorbereiten können.
veröffentlicht am 23.12.2022
Frau Lüdemann, nur acht Prozent der Frauen erleben in Deutschland eine Geburt ohne medizinische Eingriffe. Woran liegt das?
Bis vor 100 Jahren war die Mütter- und Kindersterblichkeit sehr hoch, so wie heute noch in armen Ländern ohne ausreichende medizinische Versorgung. Das erklärt, warum sich bei uns so viele medizinische Maßnahmen rund um die Geburt entwickelt haben. Tatsächlich hat sich die Sterberate bei Müttern und Kindern dadurch auf ein sehr niedriges Niveau reduziert. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass viele natürliche Geburten, die eigentlich gut verlaufen, durch medizinische Interventionen erschwert werden und dass die Kaiserschnittrate höher ist, als notwendig.
Sicherlich ein Grund, warum immer mehr Frauen gerne selbstbestimmter gebären möchten...
Ja, viele werdende Mütter möchten die Geburt ihres Kindes selbst in die Hand nehmen. Das ist kein schlechter Ansatz. Wichtig ist aber, nicht krampfhaft daraus abzuleiten, dass die Geburt auf jeden Fall gut wird, wenn sie nur alles richtig machen. Viele Frauen haben zum Beispiel das Gefühl, sie dürften keine Schmerzmittel nehmen und empfinden es als Versagen, wenn sie es nicht ohne schaffen. Früher musste man die Geburt einfach nur überleben. Heute muss man dabei noch performen oder am nächsten Tag eine Instagram-Story darüber machen...
Gerade auf Social Media gibt es viele Ratschläge, wie eine gute Geburt gelingt. Wie sehen Sie das?
Ich finde es schwierig, wenn bestimmte Ideologien dahinterstehen. Oft erzählen selbsternannte Geburtshelferinnen, dass man für eine friedliche Geburt nur richtig atmen muss und sich nicht stören lassen darf. Ich habe schon öfter erlebt, dass Frauen mit Schlafbrillen und Kopfhörern zur Entbindung kamen, um sich in eine Trance zu versetzen und ihr Kind intuitiv zu gebären. Das funktioniert leider sehr oft nicht.
Wie kann sich eine Frau denn auf ihre Geburt vorbereiten?
Zum Beispiel, indem sie darauf achtet, sich gesund zu ernähren, in Bewegung zu bleiben und nicht zu viel zuzunehmen. Indem sie vorher übt, richtig zu atmen. Und jede Frau sollte sich ehrlich mit ihrem eigenen Schmerzempfinden auseinandersetzen und sich überlegen, was sie aushalten kann.
Hilft auch eine positive Einstellung?
Ja. Wichtig ist das Vertrauen in den eigenen Körper, der ja schon sehr viel geschafft hat und auch die Geburt schaffen wird. Das wird den Frauen aber genommen, wenn die Schwangerschaft durch uns Medizinerinnen und Mediziner ständig kontrolliert wird. Wenn dann Werte von der Norm abweichen suggeriert es den Müttern, dass irgendwas nicht mit ihnen stimmt. Deshalb trauen sie sich eine natürliche Geburt oft nicht mehr zu. Dabei sagt die Statistik ja, dass 99 Prozent der Geburten gutgehen.
Raten Sie als Chefärztin einer Geburtsklinik zu einer Krankenhausentbindung?
Es kommt auf das Setting an. Ich habe meine eigenen Kinder auch im Geburtshaus bekommen und mich da außerordentlich gut betreut gefühlt. Diese angenehme, freundliche Umgebung würde ich jeder Frau wünschen. Da fallen viele unnötige Interventionen weg, die eine Entbindung nicht unbedingt besser machen. Auch eine Hausgeburt mit Hebammenbegleitung kann ein gutes Erlebnis sein. Wichtig finde ich aber in beiden Fällen, dass man einen Plan B hat und ein Krankenhaus im Notfall sehr schnell erreichbar ist.