Zwischen Freude und Bangen

„Wir hatten anfangs kein romantisches Familienleben“ – Interview mit Frühchenpapa Daniel Pelz

Jedes elfte Kind in Deutschland kommt zu früh auf die Welt. Die Eltern sind dann enorm gefordert. Nicht nur die Mütter, sondern auch die Väter. Ihnen will Daniel Pelz, selbst Frühchenpapa, eine Stimme und einige wertvolle Tipps geben.

veröffentlicht am 15.12.2022

Sie sind Frühchenvater von Zwillingen. Was hat Ihnen in der ersten Zeit kurz nach der Geburt am meisten zugesetzt?
An erster Stelle ist das eine ungeheure Hilflosigkeit. Plötzlich sind da zwei kleine Wesen auf der Welt, mit denen man noch gar nicht gerechnet hatte, und diese Wesen liegen in Inkubatoren an Schläuchen und benötigen eine Atemhilfe. Als Eltern möchte man das den Kindern alles abnehmen und kann es nicht. Die wichtigsten Personen sind erst einmal die Ärzte, Pfleger und Schwestern und als Eltern hat man fast nur eine Statistenrolle.
 
Für mich als Vater war es belastend, einen wahnsinnigen Spagat meistern zu müssen. Einerseits wollte ich nur für meine Familie da sein. Andererseits musste ich extrem viel organisieren, Geburtsurkunden beantragen, Fragen mit der Krankenkasse klären etc. – doch eigentlich hatte ich dafür weder zeitliche noch emotionale Kapazitäten.
 
Wie empfanden Sie die Kommunikation des Krankenhauspersonals mit Ihnen als Frühcheneltern?
Die Fruchtblase meiner Frau ist während unseres Urlaubes geplatzt. In dem ersten Krankenhaus an unserem Urlaubsort war die Kommunikation wunderbar. Die Ärzte und das medizinische Personal haben sich sehr um uns gekümmert und es herrschte ein warmer, einfühlsamer Ton. Manchmal ist es ja auch nur ein Lächeln, das einem in einer konkreten Situation Mut macht.
 
In dem zweiten Krankenhaus an unserem Wohnort war das komplett anders. Die Ärzte und Pfleger waren gehetzt, der Tonfall war streckenweise sehr barsch. Uns wurde dort auch vorgeworfen, dass wir unsere Kinder nicht schnell genug allein versorgen können. Das hat uns richtig heruntergezogen. Im ersten Krankenhaus hatten wir angefangen, etwas Sicherheit im Umgang mit unseren frühgeborenen Zwillingen zu entwickeln, die ist im zweiten Krankenhaus durch den oft vorwurfsvollen Ton oder die gänzlich fehlende Ansprache verschwunden.
 
Was waren die größten Hürden im Alltag, in den ersten Wochen daheim?
Die ersten Tage hatten wir ein sehr flaues Gefühl im Magen. Wir waren jetzt mit unseren Zwillingen allein und wussten, dass es keinen Notknopf mehr gibt, den wir drücken können, damit eine Schwester kommt. Wir hatten einfach Angst mit diesen beiden kleinen zarten Wesen. Was ist, wenn wir etwas übersehen? Entwickeln sie sich wirklich gut? Und der ganze Alltag war natürlich eine große Kraftanstrengung. Meine Frau hat beide Kinder gestillt und war dadurch sehr eingebunden. Ich habe versucht, das ganze Drumherum zu stemmen – einkaufen, kochen, mit dem Wickeln helfen, Anträge ausfüllen. Wir haben keine Großeltern in der Nähe, daher waren wir auf uns allein gestellt. Außerdem sind wir kurz vorher erst in unsere neue Wohnung gezogen und da war auch noch nicht alles fertig. Wir haben uns jeden Tag gefragt, wie wir das überhaupt schaffen sollen.
 
Wie lange hat es gedauert, bis Sie Ihre Zwillinge nicht mehr als die fragilen, anfälligen kleinen Wesen gesehen haben, sondern als normale Babys?
Ich kann diese Zeitspanne nicht beziffern, aber es hat sehr lange gedauert. Wir haben unsere Kinder vom ersten Moment an liebgehabt. Aber zu Beginn haben so viele medizinische Fragen unseren Tagesablauf dominiert: Geht’s den beiden gut? Zu welchem Arzt müssen wir mit ihnen? Wir hatten viele Arzttermine, Physiotherapie, Osteopathie, Kontrolluntersuchungen für Frühchen, die noch zu den üblichen Untersuchungen dazukamen. Wir hatten anfangs kein romantisches Familienleben. Es hat wirklich lange gedauert, bis wir einfach froh, unbeschwert und ohne Sorgen sagen konnten: Wow, das sind unsere Kinder.

Ihre Kinder gehen jetzt in die Kita. Inwiefern hängen Ihnen die Erfahrungen der ersten Monate immer noch nach? Wie hat Sie als Vater diese Frühgeburt geprägt?
Ich habe ein Buch über meine Erlebnisse geschrieben. („Frühchenpapa – Ein Wegbegleiter“: unsere Rezension dazu.) Das hat mir sehr geholfen, weil ich dabei das Gefühl hatte, unter bestimmte Dinge einen Haken zu setzen. Aber die Frühgeburt prägt mich in dem Sinne immer noch, da mir noch einmal sehr bewusst geworden ist, wie fragil das Leben ist und wie plötzlich Dinge im Leben geschehen können, mit denen man nicht rechnet. Ich bin über jede Entwicklung, die meine Kinder machen, extrem dankbar und oft total berührt, wenn ich diese beiden gesunden, lebensfrohen Kleinkinder sehe, die völlig begeistert ihre Umwelt erkunden. Außerdem ist da auch eine ganz große Dankbarkeit, dass wir, meine Frau und ich, das zusammen geschafft haben. Es war sicherlich eine der härtesten Zeiten in unserem Leben.
 
Hat diese extreme Erfahrung Sie und Ihre Frau noch mehr zusammengeschweißt?
In gewisser Weise ja, weil wir als Team arbeiten mussten und das sehr gut geklappt hat. So eine Grenzerfahrung gemeinsam durchzumachen, verbindet. Auf der anderen Seite waren manche Situationen für unsere Ehe aber auch belastend. Wir waren beide völlig übermüdet, haben uns große Sorgen um unsere Kinder gemacht und hatten keine Zeit, einfach auch einmal darüber miteinander in Ruhe zu reden. Wir waren beide sehr dünnhäutig und das führt dann schnell zu Streit. Es gibt also sowohl das Positive als auch das Negative.
 
Wie Sie schon erwähnt haben, haben Sie über Ihre Erlebnisse ein Buch geschrieben, einen Wegbegleiter. An wen richten Sie sich damit? Haben Frühcheneltern, und im Speziellen Frühchenväter, überhaupt die Freiräume, einen Ratgeber zu lesen?
Zum einen habe ich versucht, meinen Wegbegleiter relativ kurz und in einfacher Sprache zu schreiben, denn ich hätte für normale Ratgeber damals gar nicht die Zeit gehabt. Zum anderen hoffe ich, dass man mein Buch auch gut ein paar Monate nach der Geburt lesen kann. Als meine Kinder etwa drei oder vier Monate alt waren, habe ich beispielsweise einen Podcast von zwei Frühchenmüttern gefunden. Der hat mir sehr geholfen, Dinge zu verarbeiten, einfach dadurch, dass ich erfahren habe, dass andere das auch so erlebt haben.
 
Darüber hinaus würde ich das Buch auch Angehörigen empfehlen. Viele Väter reden nicht über ihre Gefühle, ziehen sich zurück, werden teilweise wütend. Das Buch kann helfen, zu verstehen, was der eigene Sohn oder der Bruder gerade durchmacht.
 
Und als Drittes hoffe ich, dass auch Ärzte und Pflegekräfte aus dem Bereich der Neonatologie meinen Wegbegleiter lesen, denn oft konzentrieren diese sich naturgemäß stark auf die Kinder und die Mutter. Es ist mein Wunsch, dass einige Mitarbeitende im Gesundheitswesen durch dieses Buch die Väter mehr einbeziehen und anders mit ihnen umgehen.
 
Jetzt geht es in dem Buch nicht nur um die emotionale Achterbahnfahrt der Eltern bei einer Frühgeburt, sondern Sie kritisieren auch an mehreren Stellen, dass es zu wenige staatliche Hilfen für Frühcheneltern gibt. Was sind da Ihre konkreten Forderungen, was müsste sich ändern?
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass die Väter rund um eine Frühgeburt für ihre Familie da sein können. Urlaub und Elternzeit sind endlich, manche Väter sehen nur den Ausweg, sich krankschreiben zu lassen. Mütter haben vollkommen zu Recht einen Mutterschutz. Für Frühchenväter braucht es aber ebenso etwas Adäquates, zum Beispiel in Form eines speziellen Väterurlaubs.
 
Außerdem müsste die ganze Bürokratie rund um eine Geburt, das betrifft jetzt nicht nur Frühcheneltern, vereinfacht werden. Diese seitenlangen Formulare, um Elterngeld zu beantragen, kosten zu viel Zeit und Nerven. Das müsste man allen Eltern wesentlich einfacher machen.
 
Und Drittens brauchen die Neonatologien genug Personal. Die Kinder brauchen in dieser Zeit die volle Aufmerksamkeit, aber auch die Frühcheneltern benötigen Unterstützung. Ich kann durchaus verstehen, dass das medizinische Personal gehetzt und gereizt ist, wenn alles so knapp kalkuliert ist. Da muss dringend etwas getan werden. Hier beginnt das Leben von Kindern – und das sollte für alle Beteiligten ein guter Start sein. Dafür müssen die nötigen Voraussetzungen geschaffen werden.
 
Was würden Sie im Rückblick anders machen?
Ich würde versuchen, mehr darüber zu sprechen, wie es mir geht. Ich habe oft gedacht, dass ich meiner Frau das nicht anvertrauen kann, da sie selbst so belastet ist. Heute denke ich, dass es wichtig ist, offen miteinander zu reden. Auch würde ich mir selbst im Rückblick ehrlicher eingestehen, dass ich komplett ko bin – und zwar nicht, weil ich zu schwach bin, sondern weil es eine Extremsituation ist, die auch an mir nicht spurlos vorübergeht.

Daniel Pelz

Daniel Pelz ist Journalist und arbeitet für den Auslandssender „Deutsche Welle“. Er ist Vater von frühgeborenen Zwillingen und hat über seine Erlebnisse rund um die Frühgeburt das Buch „Frühchenpapa – Ein Wegbegleiter“ geschrieben.

5 Tipps von Daniel Pelz an Frühcheneltern

  1. Redet als Paar offen darüber, wie es euch geht.
  2. Gebt euch gegenseitig Zeit, damit jeder einmal kurz zur Ruhe kommen kann – auch wenn es vielleicht nur fünf Minuten am Tag sind.
  3. Nehmt jede Hilfe an, die ihr bekommen könnt, und schämt euch nicht, zuzugeben, wenn ihr am Limit seid.
  4. Seht euer frühgeborenes Kind gerade in der Anfangszeit nicht nur als Patient. Freut euch über dieses kleine Wesen, schaut, von wem es die Nase hat, lacht mitienander über komische Situationen.
  5. Lasst eure Angst und Traurigkeit raus und schluckt sie nicht herunter. Findet heraus, was euch hilft. Schreibt ein Tagebuch, sprecht regelmäßig mit einem guten Freund/einer guten Freundin, sucht euch eine Online-Selbsthilfegruppe.

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