Werte leben
Sich als Familie treu bleiben – warum es so schwierig ist und wie es gelingt
Ein Trend jagt den nächsten – auch in der Erziehung. Ständig gibt es neue Ratschläge zur „richtigen“ Lebensweise, Freizeitgestaltung, Bildung und Ernährung. Wie es Eltern gelingen kann, ihre eigenen Werte zu finden und ihre Überzeugungen umzusetzen.
veröffentlicht am 01.10.2024
Empfehlungen, Routinen und Must-Dos für Eltern sind im Medienzeitalter ständig präsent. Schon frischgebackene Mütter und Väter erwartet eine wahre Flut oft gegensätzlicher Tipps. „Windelfreie Erziehung ist ökologisch, kostengünstig und stärkt die Bindung“, schreiben Experten, während die Werbung selig schlummernde Babys dank Auslaufschutz zeigt.
Co-Sleeping im Familienbett liegt im Trend, gleichzeitig ist der Klassiker „Jedes Kind kann schlafen lernen“ immer noch ein Bestseller. „Bedürfnisorientierung ist das A und O“, jubeln Elternforen. „Helikoptereltern, ihr verweichlicht die Kinder“, schimpft vor allem die ältere Generation. Wie sie es schaffen, den richtigen Weg für sich und ihre Familien zu finden, erzählen Elternbloggerin Alexandra Lotz aus Hessen und Gymnasiallehrerin Barbara Humer, die mit ihrer Familie südlich von Wien lebt.
"Ich habe gesehen, wie das ausarten kann!
Alexandra wohnt mit ihrer Familie auf dem Land. Ihr Sohn ist 17, die beiden Töchter 15 und 11 Jahre alt. Da ihr Mann beruflich viel reist, entschied sie sich, zuhause zu bleiben und machte sich vor sieben Jahren mit ihrem Blog „Mama steht Kopf“ selbständig. Darin schreibt sie über Freuden und Herausforderungen des Elternseins und damit vielen aus der Seele. Werte spielen in ihrer Familie eine große Rolle. Vor allem Toleranz und ein gutes Miteinander sind Alexandra wichtig.
Die 45-Jährige hat im Laufe der Jahre immer wieder erlebt, welchen Einfluss Trends auf das Familienleben haben können. „Ein großes Thema ist die bedürfnisorientierte Erziehung. Ich habe im Bekanntenkreis gesehen, wie das ausarten kann und sich plötzlich alles nur noch nach den Kindern richtet. Die Eltern werden immer unentspannter und dichten ihnen sogar Bedürfnisse an. Darüber vergessen sie sich manchmal selbst.“
Auf der anderen Seite ist da der Trend, Kinder möglichst früh zu fördern. „Sie sollen zum Ballett, zum Tennis, zum Fußball und Klavier spielen. Am besten alles gleichzeitig“, sagt Alexandra. So hat sie es bei Freunden ihrer Kinder oft erlebt. Auch im erweiterten Familienkreis kam das Thema immer wieder zur Sprache. „Da wurden vermeintliche Talente entdeckt, die unsere Kinder im Verein ausbauen sollten.“
Beim Thema Freizeit ist der Druck von außen besonders groß
Doch Alexandra wollte mit dieser Welle nicht mitschwimmen. „Zum einen fand ich diesen Optimierungsdruck nicht gut. Die Kinder sollten einfach sein dürfen, wie sie sind. Zum anderen wollten wir keine durchgetakteten Nachmittage, an denen wir ständig auf die Uhr schauen müssen, um den nächsten Termin nicht zu verpassen.“ Die Familie fand schließlich einen Kompromiss: „Jedes Kind durfte ein Hobby auswählen. Bei dreien ist das mehr als genug.“
Barbara Humer, Lehrerin und Mutter von vier Jungen im Alter von 14, 13, 9 und 8 Jahren macht sich ähnliche Gedanken. „Wir empfinden den Druck von außen gerade bei der Freizeitgestaltung als besonders hoch. Tatsächlich ist keiner unserer Söhne im Verein.“ Wie Alexandra war auch Barbara viele Jahre bei ihren Kindern zu Hause. „Sie spielten lieber mit Freunden auf dem großen Grundstück oder wir haben zusammen etwas gebastelt. Das war ihnen genug.“
In ihrem Umfeld haben das viele nicht verstanden. „Es hieß oft, wir würden unsere Kinder davon abhalten, sich weiterzuentwickeln und zu lernen“, erinnert sich Barbara. „Dabei war es ihre eigene Entscheidung. Wir haben sie bei verschiedenen Vereinen schnuppern lassen. Aber wenn ihre Freunde dann alle zum Fußball gingen, meinten sie: Bei uns im Garten können wir auch kicken. Das ist viel lustiger und uns brüllt kein Trainer an.“
Gemeinsam ausloten, welchem Trend man folgt
Gemeinsam auszuloten, welchem Trend man folgt und wo man sich lieber ausklingt, ist für beide Familien wichtig. Sind die Kinder im Teenageralter, bringt das neue Herausforderungen mit sich. Während man sich früher auf der Spielplatzbank oder bei Eltern-Kind-Verabredungen über Erziehungsfragen austauschen konnte, hat man jetzt nur noch wenige Gelegenheiten dazu.
„Sehr oft fällt der Satz: Die anderen dürfen aber…“ Und nicht immer lässt sich das überprüfen. Umso besser, wenn Eltern bereits früh Weichen für das Familienleben stellen, sich über grundlegende Werte klar werden und danach leben. Für Barbara und ihren Mann ist die Lebensweise des heiligen Don Bosco eine wichtige Basis, weil sie selbst damit aufgewachsen sind. Seine Weltanschauung geben sie nun an ihre Söhne weiter.
„Der Glaube ist unser wertvollstes Geschenk, genau wie die Liebe zu unseren Kindern. Sie wissen, dass sie unerschütterlich ist, egal, was sie machen“, sagt die 43-Jährige. Wertschätzung gehört ebenso dazu, wie die Dankbarkeit für das, was man hat und soziale Gerechtigkeit anderen gegenüber. „Besonders wichtig ist uns auch eine offene Streitkultur. Wenn es zwischen uns Eltern Meinungsverschiedenheiten gibt, dürfen die Kinder das mitkriegen. Und auch, wie wir uns versöhnen.“
Beim Umgang mit Alkohol hilft ein Blick ins Jugendschutzgesetz
Offen mit unterschiedlichen Ansichten innerhalb der Familie umzugehen und sie miteinander auszuhandeln, stärkt den Zusammenhalt. Das erlebt auch Alexandra. „Gerne besprechen wir solche Themen beim gemeinsamen Essen, das ist uns wichtig. Als es darum ging, wie lange unsere Älteren ausgehen und ob sie Alkohol trinken dürfen, haben wir uns das Jugendschutzgesetz angeschaut und festgelegt, was geht und was nicht.“
Manchmal haben Eltern das letzte Wort. Zum Beispiel beim Thema Zocken. „Viele Kinder haben schon in der fünften Klasse unter der Woche gespielt“, erinnert sich Alexandra. „Wir haben aber bei unserem Sohn schnell gemerkt, wie das die Konzentration beeinflusst hat.“ Zusammen mit ihrem Mann entschied sie: Nur eine Stunde Zocken am Wochenende. „Das kam nicht so gut an. Aber wir waren uns sicher und handhaben das nun bei allen Kindern gleich.“
Bei Familie Humer in Österreich gab es in Sachen Social Media ein Machtwort. „Es ging um Instagram und Snapchat, als unser Ältester auf die weiterführende Schule kam. Mein Mann wollte es strikt verbieten. Ich hatte Sorge, dass wir Tobias damit zum Außenseiter machen. Gott sei Dank, hat sich mein Mann durchgesetzt“, sagt Barbara. Denn wie sich zeigte, erfuhr Tobias alles Wichtige über seine Freunde. „So konnte er mitreden, ohne von Tausenden Videos überflutet zu werden.“
Der Wunsch, dazuzugehören und Teil der Gruppe zu sein
Einen anderen beliebten Trend ließ er dann von selbst aus. „Als seine Schulfreunde mit dem Ballerspiel ‚Fortnite‘ anfingen, habe ich mit ihm den Trailer angeschaut und wir fanden es beide schlimm. Tobias hat sich dagegen entschieden. Er war sich sogar so sicher, dass es ihm egal war, ob seine Freunde das akzeptieren würden. Unsere jüngeren Söhne profitieren davon, dass er so stark geblieben ist. Sie mögen harmlosere Spiele wie ‚Fifa‘ oder ‚Minecraft‘.“
Doch nicht immer bestimmen die eigenen Vorlieben, ob man einem Trend folgt. Manchmal geht es auch einfach darum, dazuzugehören. So erlebte es Barbaras zweitältester Sohn in der Grundschule. „Die Kinder tauschten Pokémon-Karten und er war traurig, weil er keine hatte und nicht mitmachen konnte. Ich habe ihm dann ein Set besorgt. Er hatte keinen Spaß daran, aber in dem Moment war es ihm einfach wichtiger, Teil der Gruppe zu sein.“
Trends haben viel mit Zugehörigkeit zu tun. „Es ist schwerer geworden, Teil einer festen Gruppe zu sein“, ist Barbaras Erfahrung als Mutter und als Lehrerin. Früher lief das Leben langsamer ab, war die Welt noch überschaubar, der Lebenslauf vorhersehbar und das Angebot für Kinder und Jugendliche nicht so breit gefächert. Heute ist alles individualisierter und dadurch unverbindlicher. „Es gibt kaum noch jemanden, der sagt: Das ist meine Leidenschaft und da gehöre ich fest dazu.“
Familienwerte stärken Kinder und schaffen Stabilität
Wie ein Trend auch unangenehme Gruppendynamiken auslösen kann, hat Barbara als Lehrerin erlebt. Sie unterrichtete Jugendliche an einer Handelsakademie, als eine Fußball-EM stattfand. „Mit einem Mal bildeten sich richtige Lager. Diejenigen, die sich nicht für Fußball interessierten, wurden ausgeschlossen. Die anderen waren Fan zweier gegnerischer Mannschaften und steigerten sich immer weiter hinein. Bis es schließlich zu Schlägereien auf dem Schulhof kam.“
Fankulturen, Hypes, Challenges und Weltanschauungen dringen heute über die sozialen Medien schnell ins Private ein. Vieles kann Spaß machen und sich richtig anfühlen. Manches aber auch fragwürdig. Familienwerte stärken Kinder und schaffen Stabilität. Daher ist es gut, wenn Eltern und Kinder im Gespräch bleiben und gemeinsam nach Wegen suchen. Manchmal nimmt man eine falsche Abzweigung oder einen Umweg. Das ist okay. Wichtig ist, sich dabei nicht aus den Augen zu verlieren.
Die eigenen Werte finden und leben – Tipps für Familien
1. Echte Werte leben
Es ist manchmal kaum zu unterscheiden, welche Werte wirklich zu uns gehören und wo wir nur gesellschaftlichen Erwartungen folgen. Es lohnt sich, herauszufinden, was wirklich wichtig ist.
2. Miteinander sprechen
Sprechen Sie in Ihrer Familie regelmäßig über aktuelle Trends. Gemeinsam können Sie Vor- und Nachteile finden und ausloten, was zu Ihnen als Familie passt und was Sie lieber auslassen.
3. Bedürfnisse anerkennen
In einer Familie können die Perspektiven und Wünsche sehr unterschiedlich sein. Alle – selbst die jüngsten Mitglieder – verdienen es, gehört und ernst genommen zu werden.
4. Flexibel bleiben
Zeiten und Umstände ändern sich, Kinder wachsen heran. Es lohnt sich, die eigene Haltung und bestehende Regeln zu überdenken. Passen sie noch zur aktuellen Situation?
5. Vorbild sein
Leben Sie Werte aktiv vor. Engagieren Sie sich ehrenamtlich, wenn Ihnen soziales Miteinander wichtig ist. Legen Sie Ihr Handy beiseite, wenn Sie die Bildschirmzeit Ihrer Kinder begrenzen.
6. Zugehörigkeit fördern
Unterstützen Sie Ihre Kinder dabei, Teil einer stabilen Gemeinschaft zu werden. Ermutigen Sie sie, dabeizubleiben und nicht gleich bei der ersten Herausforderung aufzugeben.
7. Interesse zeigen
Jedes Familienmitglied hat seine eigenen Vorlieben. Schaffen Sie Raum, um über das zu sprechen, was sie bewegt. Zeigen Sie echtes Interesse und Wertschätzung füreinander.