Stark bleiben
So hilft Resilienz bei schwerer Krankheit
Resiliente Menschen können mit schwierigen Situationen besser zurechtkommen. Doch hilft Resilienz auch in schweren Krankheiten? Ja, sagt die Psychotherapeutin und Resilienzforscherin Isabella Helmreich. Sie hat Empfehlungen für Patienten und Angehörige.
veröffentlicht am 28.06.2024
Der Begriff Resilienz wird inzwischen in vielen Bereich verwendet. Was bedeutet er aus psychologischer Sicht?
Resilienz bedeutet die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach widrigen Lebensumständen. Man kann sich das gut am Bild eines Schwammes vorstellen: Man kann ihn zusammenquetschen, ihn auf den Boden werfen oder auf ihm herumtreten und er kehrt immer wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Das ist genau das, was Resilienz bedeutet: Wir werden mit Stress, mit Widrigkeiten, vielleicht auch mit traumatischen Erfahrungen konfrontiert, haben aber innere persönliche Fähigkeiten und Strategien sowie externe Ressourcen, die uns helfen, unsere psychische Gesundheit wieder zurückzugewinnen.
Ist Resilienz ein feststehendes Persönlichkeitsmerkmal oder eine Fähigkeit, die man lernen kann?
Früher dachte man, es sei eine Persönlichkeitseigenschaft – entweder man sie oder man hat sie nicht. Heute weiß man, dass es zwar eine genetische Veranlagung zu Resilienz gibt, der größte Teil aber über die Lebenszeit gelernt werden kann. Es kommen also mehrere Faktoren zusammen, die Genetik, das neurobiologische System – manche Menschen sind einfach stressanfälliger als andere –, und viele Fertigkeiten, die man im Leben erwirbt. Dazu zählt, welche Resilienzfaktoren man hat und wie man sie trainiert. Wichtige Resilienzfaktoren sind zum Beispiel Selbstwirksamkeit, Optimismus, kognitive Flexibilität oder soziale Unterstützung. Dazu zählen auch externe Ressourcen wie zum Beispiel ein gutes privates Netzwerk – zum Beispiel Freunde – oder ein professionelles Netzwerk – zum Beispiel Ärzte oder Therapeuten.
Hinzu kommen die Umweltfaktoren, die sowohl schützende Faktoren als auch Risikofaktoren sein können. Schützende Faktoren sind zum Beispiel ein gutes Elternhaus, gute Freunde oder auch das Aufwachsen in einem Land wie Deutschland, in dem es viele Unterstützungssysteme gibt. Risikofaktoren sind zum Beispiel, wenn ich wenig Bildungschancen habe oder stark Umweltgiften oder dem Klimawandel ausgesetzt bin.
Resilient zu sein, mag im normalen Alltag hilfreich und gutumsetzbar sein. Aber wie ist das bei schweren Krankheiten? Kann Resilienz auch in solch extremen Situationen helfen?
Ja, das konnten wir ganz eindeutig zeigen. Wir haben beispielsweise gerade ein aktuelles Forschungsprojekt, in dem Familien mit schwer kranken Kindern durch einen „FamilienGesundheitsPartner“ bedarfsorientiert unterstützt werden. Dabei haben wir auch geschaut, wie sich die Resilienz der Familien über die Zeit verändert, wenn Resilienzfaktoren gestärkt werden. Es hat sich gezeigt, dass Resilienz auch in solchen schwierigen Situationen trainierbar ist und sich verbessert.
Wie können schwer kranke Menschen es schaffen, ihr Resilienzvermögen zu behalten oder zu fördern?
Zum einen durch resiliente Grundhaltungen und zum anderen durch resiliente Handlungsprinzipien. Eine resiliente Grundhaltung, die in jeder Lebenssituation, aber auch in einer schweren Krankheitssituation hilft, ist ein realistischer Optimismus. Das bedeutet, dass man nicht alles nur negativ sieht, sozusagen die dunkle Brille aufsetzt, sondern dass man die Resilienzbrille aufsetzt, es also schafft, auch die schönen, kleinen Dinge des Lebens zu sehen, die es ja in solchen Phasen auch immer gibt. Wenn zum Beispiel die Sonne scheint. Wenn man ein Gespräch mit netten Menschen hat. Wenn man mal einen besseren Tag hat, an dem einem bestimmte Dinge leichter fallen als an einem anderen. Dieser realistische Optimismus kann sich auch in der Hoffnung äußern, dass neue Medikamente entstehen oder neue Therapien entwickelt werden. Hilfreich ist zudem eine hohe Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, dass man Fähigkeiten und Kompetenzen hat, mit denen man etwas verändern kann. Zum Beispiel: Wenn man den Anweisungen der Ärztinnen und Ärzte folgt, kann sich eine Verbesserung der Erkrankung einstellen. Oder man setzt sich kleine realistische Ziele für jeden Tag, ja nachdem, was gerade ansteht, und freut sich über jeden Erfolg, ist er noch so klein. Resiliente Menschen haben zudem eine sehr gute Werteorientierung. Sie wissen, was für sie im Leben wichtig ist, was ihre Werte sind, und inwiefern sie ihr Leben ihren Werten entsprechend ausrichten können. Dadurch setzen sie sich eher Ziele, die zu ihren Werten passen und können ein zufriedeneres Leben führen.
Zu den resilienten Handlungsprinzipien zählt ein aktives Bewältigungsverhalten, wir sprechen von aktivem Coping. Wenn ich eine schwere Erkrankung habe, gibt es natürlich immer wieder Tage und Zeiten, in denen es mir schlecht geht und mir alles furchtbar erscheint. Aber vielleicht gelingt es mir, mich immer wieder aufzuraffen, aktiv zu versuchen, die Dinge, die ich tatsächlich verändern kann, zu verändern und zugleich auch den Blick für die schönen Dinge nicht zu verlieren. Dabei kann ich versuchen, an der Situation etwas zu verändern, oder ich kann versuchen, an der eigenen Haltung etwas zu verändern. Bei Letzterem ist die Akzeptanz der Krankheit ein wichtiger Punkt. Dass ich also nicht immer nur denke, die Krankheit soll weggehen, ich will sie nicht haben, sondern dass ich akzeptiere, sie ist jetzt da, mein Leben hat sich verändert, und dann überlege, wie ich am besten damit umgehen kann. Resiliente Menschen schaffen es gut zu unterscheiden, was sie verändern können und was nicht, und ihre Ressourcen und Energie in die Dinge zu stecken, auf die sie Einfluss haben.
Sehr hilfreich ist auch eine gewisse Flexibilität, das heißt, dass ich nicht in eingefahrenen Denk- und Handlungsmustern bleibe. Das ist wichtig, weil ich viele Dinge anders machen oder neu bewerten muss. Dinge, die mir vorher leichter von der Hand gegangen sind, brauchen jetzt unheimlich viel Zeit und Nerven. Da kann ich vielleicht umorganisieren und mir eventuell Hilfe holen. Die soziale Unterstützung ist einer der wichtigsten Resilienzfaktoren. Das bedeutet, dass ich ein gutes soziales Netzwerk habe, auf das ich zurückgreifen kann und bei dem ich mich traue, um Hilfe zu bitten. Und schließlich ist da noch die Emotionssteuerung: Ich weiß, welche Gefühle ich habe, ich gestehe mir zu, dass ich dunkle Phasen habe, dass ich traurig bin, dass ich deprimiert bin, aber ich bleibe nicht zu lange in diesem tiefen Tal, sondern habe Strategien an der Hand, um mich wieder herauszuholen.
Auch Angehörige und Freunde brauchen in einer solchen Situation ein großes Maß an Resilienz. Haben Sie auch für sie Tipps, wie sie widerstandsfähig bleiben können?
Ganz wichtig ist es, sich eigene Auszeiten zu gönnen. Das ist generell ein wichtiges Thema bei Angehörigen von Pflegebedürftigen oder chronisch Kranken. Natürlich geht es darum, diese Personen zu unterstützen. Zugleich ist es nötig, gut für sich selbst zu sorgen und sich Zeiten zu nehmen, in denen man nur tut, was einem selbst Spaß macht, und in denen man mal aus der ganzen Sache herauskommt. Hilfreich ist es, wenn man dabei auf sein privates Netzwerk zurückgreifen kann. Wichtig ist aber auch, sich gut beraten zu lassen, wie der Staat unterstützen kann, wie das professionelle Hilfssystem greifen kann. Das kann Familienhilfe sein oder finanzielle Unterstützung, Hilfe bei der Kinderbetreuung oder mal ein besonderer Familienurlaub mit anderen Kindern, die in ähnlichen Situationen sind. Als extrem hilfreich hat es sich erwiesen, sich einer Selbsthilfegruppe anzuschließen – sei es vor Ort oder online –, um dort mit anderen Menschen, die Ähnliches erleben, zusammen zu sein und sich mit ihnen austauschen zu können.