Hilfreiche Superkraft

Wie Resilienz Familien stärken kann

Das Familienleben ist im Grunde wie ein großes Lotti-Karotti-Spiel. Man weiß nie, wann es einen erwischt. Die Kraft der Resilienz kann helfen, dem täglichen Wahnsinn zu begegnen und mit Krisen umzugehen. Wie Eltern und Kinder davon profitieren.

veröffentlicht am 28.06.2024

Ein gewisser Stress ist in Familien Normalzustand. Ständig passieren unvorhergesehene Dinge. Ist eine Gefahr gebannt, droht gleich die nächste. Ist eine Herausforderung erfolgreich gemanagt, ploppen schon mehrere weitere auf. Im Grunde ist Eltern-Sein wie ein großes Lotti-Karotti-Spiel: Man weiß nie, wann es einen erwischt, wann sich der Boden unter einem auftut. (Für die wenigen, die es nicht kennen: Bei dem Spiel führt das Drehen einer Kunststoff-Möhre dazu, dass immer wieder Hasen-Spielfiguren vom Weg in den Abgrund stürzen.) Wenn es so weit ist, heißt es durchatmen, Hasenöhrchen richten und weitermachen. (Während auf dem Spielfeld der ausgeschaltete Hase verschwunden bleibt und die Kollegen übernehmen.)

Was es also dringend bräuchte, wäre eine Superkraft, die Mamas und Papas hilft, mit dem täglichen Wahnsinn umzugehen und sich von Dauer-Druck und wechselnden Krisen nicht unterkriegen zu lassen. Zum Beispiel, wenn das Kind genau an dem Morgen anfängt zu kotzen, an dem die Mama einen wichtigen Kundentermin hat. Wenn der Vermieter die Wohnung überraschend wegen Eigenbedarf kündigt. Oder wenn der Papa mit einer besorgniserregenden Diagnose vom Arztbesuch nach Hause kommt.

Eine Fähigkeit, die in Situationen wie diesen tatsächlich eine enorme Hilfe sein kann, ist die Resilienz. Der Begriff kommt von dem lateinischen Wort resilire, das heißt zurückspringen, abprallen. Er wird inzwischen in vielen Bereichen, beispielsweise in der Wirtschaft, in der Medizin oder in der Soziologie verwendet. Auf Einzelpersonen bezogen meint er die Fähigkeit, aus Belastungen ohne dauerhafte Schäden hervorzugehen und sich an neue Gegebenheiten anzupassen. „Resilient zu sein, bedeutet nicht nur einen Werkzeugkoffer zu haben und damit umgehen zu können. Es bedeutet, eine Haltung einzunehmen und sie zu leben“, erklärt Romy Winter in ihrem Buch „Krisenfest. Dein Familienkompass für stürmische Zeiten“ (Kösel Verlag). Die Familientherapeutin und Mutter von drei Kindern beschreibt darin sehr gut und anhand von Beispielen, wie Eltern und Kindern Resilienz lernen können, und wie die Fähigkeit dazu beiträgt, die Beziehungen in der Familie untereinander zu stärken und den Alltag zu entschleunigen.

Die Krise annehmen

Ein wesentlicher Faktor von Resilienz, schreibt Winter, sei Akzeptanz: „Der erste Schritt raus aus einer Krise ist, die Krise als solche zu akzeptieren.“ Eigentlich logisch. Wer eine schwierige Situation verändern möchte, muss zunächst anerkennen, dass es sie gibt. Egal ob eine Krankheit (siehe auch unser Beitrag „So hilft Resilienz bei schwerer Krankheit“) oder ein schlechtes Zeugnis, eine Beziehungskrise oder eine Kündigung: Das Probleme zu verdrängen, ist keine Lösung. Besser ist es, sich der Situation bewusst zu stellen. Wobei Sich-Stellen nicht unbedingt einen sofortigen Neustart bedeuten muss. „Statt in einer Krise sofort zu überlegen: Was kann ich tun? verlangt Akzeptanz zunächst die Frage Was kann ich lassen und los-lassen?“, so die Beraterin. Wer etwas Geliebtes oder Gewohntes nicht freigebe, könne die Bewältigung von Krisen erschweren oder blockieren.

Ein weiteres entscheidendes Merkmal resilienter Menschen ist das Wissen um die eigene Selbstwirksamkeit. Resilienten Personen ist bewusst, dass sie für die Erfüllung ihrer Bedürfnisse selbst verantwortlich sind, dass sie ihr Leben aktiv gestalten können statt es passieren zu lassen. Das gilt sowohl für Eltern als auch für Kinder. Kinder brauchen Eltern, die sie in ihrer Selbstwirksamkeit unterstützen. Dazu gehört, dass Eltern ihren Kindern ermöglichen, eigene Erfahrungen und Fehler zu machen. Dass sie die Kinder ermutigen und Erfolge mit ihnen feiern. Hilf mir, es selbst zu tun! – dieser Grundsatz der Montessori-Pädagogik, kann dazu beitragen, die Selbstwirksamkeit von Kindern und damit deren Resilienz zu fördern.

Das wohl wichtigste Gefühl, das Eltern ihren Kindern vermitteln können, um deren Resilienzvermögen zu steigern und zu festigen, ist das der bedingungslosen Liebe. Kinder sollen spüren, dass sie so akzeptiert werden wie sie sind – und nicht, weil sie mögliche Wünsche oder Erwartungen ihrer Eltern erfüllen. „Zu wissen, dass man um seiner selbst willen akzeptiert wird, erzeugt ein unschätzbares Gefühl von Sicherheit und Wohlbefinden“, schreiben die Kindertherapeuten Robert Brooks und Sam Goldstein in „Das Resilienzbuch. Kinder fürs Leben stärken“ (Klett-Cotta Verlag, siehe auch Tipps unten). „Kinder, die sich akzeptiert wissen, haben keinerlei Schwierigkeiten, sich anderen Menschen zuzuwenden, um Hilfe zu bitten und zu lernen, wie man Probleme löst.“ Sie verstünden, was sie an ihrem Leben aus eigener Kraft ändern könnten, und seien in der Lage und willens, sich Fehlern zu stellen und eine optimistische Lebenseinstellung zu entwickeln. Dabei, betonen die Autoren, sei Akzeptanz „nicht gleichbedeutend mit kritiklosem Gewährenlassen bzw. mit dem Verzicht auf das Grenzensetzen“. Kindern, die sich geliebt fühlten, falle es aber leichter, den Bitten der Eltern zu entsprechen.

Die Kinder so lieben wie sie sind

Ähnlich beschreibt es Familientherapeutin Romy Winter in ihrem Konzept vom „Resilient Parenting“. Wichtig sei, dass Eltern eine positive Haltung ihren Kindern gegenüber einnähmen. „Positiv bedeutet für mich: Das Gute im Kind sehen, es bedingungslos akzeptieren und lieben, ihm vertrauensvoll und geduldig begegnen und fest daran glauben: Alles wird gut.“ Entscheidend seien darüber hinaus eine achtsame Kommunikation und der Versuch, die Bedürfnisse aller Familienmitglieder – je nach Situation und Alter – zu achten und zu erfüllen. Dabei seien die Eltern klar in der Führungsrolle. „Im alltäglichen Familienchaos und erst recht in Zeiten starker Belastung brauchen Familien eine feste, aber gleichzeitig flexible Führungsautorität, damit sie handlungsfähig bleiben und das Wohlergehen aller gewährleistet ist. Also keine Angst vor Führung, einer übernimmt sie sowieso. Besser das sind wir.“

So gewappnet können Familien einigermaßen gelassen durch den oft chaotischen Alltag gehen. Und wenn sie dann kommt, die Krise, dann heißt es ruhig bleiben und den Resilienz-Werkzeugkoffer auspacken. Radikale Akzeptanz ist der erste Schritt. Anschließend geht es darum, die eigenen Gefühle in den Griff zu kriegen und sich selbst zu stabilisieren. Das Vertrauen in die Endlichkeit der Krise kann Hoffnung geben. Dann ist der Weg frei ist für Maßnahmen zur Bewältigung – oder aber die Erkenntnis, dass das Leiden noch eine Zeitlang ausgehalten werden muss. Wenn es vorbei ist, die Krise überwunden, darf gefeiert und Bilanz gezogen werden. Fest steht: Die Erfahrungen aus dieser Krise werden hilfreich sein in der nächsten.

Wichtiger Baustein für die Zukunft

Eltern, Lehrer und andere Erwachsene tun also gut daran, wenn sie Kindern jene resilienten Eigenschaften vermitteln, die die Kinder brauchen, „um sich ein Leben in Zufriedenheit und Optimismus aufzubauen“. Davon sind Robert Brooks und Sam Goldstein sind überzeugt. Und mehr noch: „Das ist nicht nur ein wunderbares Geschenk an unsere Kinder, sondern auch ein wichtiger Baustein für die Zukunft, ein Bestandteil unseres Vermächtnisses an die nächste Generation.“

So helfen Sie Ihrem Kind, resilient zu werden – 10 Tipps für Eltern von Robert Brooks und Sam Goldstein

1. Üben Sie Empathie
2. Äußern Sie sich klar und hören Sie aktiv zu.
3. Wandeln Sie „negative Skripts“ (negative Worte und Verhalten der Eltern gegenüber den Kindern; Anmerkung der Redaktion) ab.
4. Geben Sie Ihrem Kind mit ihrer Liebe das Gefühl, als Mensch in seinem eigenen Wert geschätzt und willkommen zu sein.
5. Akzeptieren Sie Ihr Kind so, wie es ist, und verhelfen ihm zu realistischen Erwartungen und Zielvorstellungen.
6. Verhelfen Sie Ihrem Kind zu Erfolgserlebnissen, indem Sie seine Kompetenzinseln (besondere Stärken und Fähigkeiten; Anmerkung der Redaktion) identifizieren und stärken.
7. Geben Sie Ihrem Kind Gelegenheit zu erkennen, dass man aus Fehlern lernen kann.
8. Wecken Sie Verantwortungsbewusstsein, Mitgefühl und ein soziales Gewissen bei Ihrem Kind, in dem Sie ihm Gelegenheit geben, sich zu beteiligen.
9. Lehren Sie Ihr Kind, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen.
10. Setzen Sie Regeln und Vorschriften, die das Selbstwertgefühl und die Selbstdisziplin Ihres Kindes fördern.

Aus: „Das Resilienzbuch. Kinder fürs Leben stärken“ von Robert Brooks und Sam Goldstein


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