Zeichen setzen

Mit Kind zur Demo

Laut werden liegt der neunjährigen Tochter von Stefanie Kortmann nicht. Bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus und für Demokratie erleben Mutter und Kind, wie Menschen zusammen aufstehen für ein gemeinsames Ziel.

veröffentlicht am 05.02.2024

„Und jetzt laut!“, feuert der Chorleiter die Kinder an. „So laut ihr könnt!“ Die Viertklässler legen sich ins Zeug. Alle brüllen die Tonleiter hörbar um die Wette – nur meine Tochter bleibt verhalten im Hintergrund. Laut werden ist definitiv nicht ihr Naturell. Aufschreien, sich bemerkbar machen, eventuell auch mal die Ellenbogen einsetzen, das ist Christina (noch) fremd.

„Das musst du lernen“, sage ich ihr und ernte nur ein müdes Lächeln der Neunjährigen. Ich will ihr beibringen, dass es in manchen Punkten nicht richtig ist, zu schweigen. So wie jetzt. Jetzt ist Zeit zu demonstrieren, auf die Straße zu gehen und die Stimme zu erheben gegen die Hetze von rechts und für die Demokratie.

Gegen Fremdenhass

Viele Jahre haben wir in meiner Schulzeit die Entwicklung des Dritten Reiches studiert. Gefühlt gab es im Geschichtsunterricht nur dieses Thema. Nach dem Abi besuchte ich dann in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Die Bilder von damals wirken bis heute in mir. Deutsch-Sein war für mich zur Teenager-Zeit kein Geschenk und warum man stolz auf ein Land sein sollte, das war mir zutiefst suspekt.
Weil sich die Geschichte niemals wiederholen darf, machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Ein Zeichen setzen für eine gewollt bunte Gesellschaft und gegen den Fremdenhass.

An meiner Seite steht meine Tochter. Ich habe ihr erklärt, was es bedeutet, in einer Demokratie zu leben, dass wir wählen dürfen – und ich finde auch müssen – und auch dass wir demonstrieren können, wenn wir mit einer Entscheidung oder einer Entwicklung nicht einverstanden sind. Auch zu den aktuellen Hintergründen der Demonstrationen habe ich einiges gesagt, doch noch ist sie viel zu sehr Kind, um zu begreifen, was die Forderungen der Rechten im Detail bedeuten. „Ausländer“, würde sie sagen, „haben wir gar nicht in der Klasse. Nur Kinder.“

Gemeinsam für ein Ziel

Auf dem Marktplatz unserer Kleinstadt sind ein paar hundert Bürgerinnen und Bürger zusammengekommen. Wir stehen etwas abseits, haben keine Plakate gemalt, sind einfach nur da und hören den Rednern zu. Hin und wieder gibt es Applaus, ein Lied wird gesungen und zum Finale steigen weiße Tauben auf als Zeichen des Friedens und der Hoffnung.

Christina hat wenig verstanden von den Inhalten an diesem Tag. Aber sie hat gesehen und erlebt, wie Freunde und Fremde zusammen für eine Sache laut wurden. Demokratie lebt davon, dass Menschen sich für sie einsetzen, sich bewegen und Flagge zeigen. Ich will ihr darin ein Vorbild sein. Ein Anfang ist gemacht.


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