Ehe und Familie

„Ein echter Fortschritt“ – Pastoraltheologe Wolfgang Beck über Papstschreiben „Amoris laetitia“

Einen neuen Fokus im Umgang mit alternativen Familienmodellen macht der Pastoraltheologe Wolfgang Beck im Schreiben „Amoris laetitia“ von Papst Franziskus aus. Im Interview erklärt er, welche Bedeutung das Papstschreiben in der Praxis hat.

veröffentlicht am 20.10.2021

Papst Franziskus hat fünf Jahre nach Erscheinen von „Amoris laetitia“ ein Aktionsjahr der Familie ausgerufen. Weshalb ist die Familie in den vergangenen Jahren so stark in den Fokus der Kirche gerückt?
Häufig besteht in kirchlichen Kontexten eine romantisierende Vorstellung von Familie. Gerne wird sie als Keimzelle christlichen Lebens idealisiert. Sie wird für das Glaubensleben der Kirche als zentrale Säule gesehen. Papst Franziskus hat mit der wertschätzenden Wahrnehmung von familiären Lebensformen und Realitäten fernab dieser Idealisierung in „Amoris laetitia“ einen anderen Fokus gesetzt. Er konstruiert Familie nicht vom Idealtypus her, sondern aus der Wahrnehmung dessen, wie Menschen Familie gegenwärtig tatsächlich leben. Das ist ein echter Fortschritt.

Sieht Franziskus Ehe als Voraussetzung für Familie?
Er sieht, dass Familie mehr ist als das kirchliche Modell, und ist zugleich vom romantisierenden Familienbild des 19. Jahrhunderts und der Romantik geprägt. Ich würde es als Ambivalenz beschreiben. Beim Versuch, beides zusammenzubringen, besteht immer auch die Gefahr, bestimmte Konstellationen wie Ein-Eltern-Familien oder Patchworkfamilien als defizitär einzuordnen. Papst Franziskus hat sich in einer würdigenden Wahrnehmung und Sprache von diesen problematischen Wertungen freigemacht.

Wie hat sich das Ehe- und Familienbild der Kirche über die Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelt?
Die Ehe beschreibt erst mal ein Zusammenleben von zwei Menschen. Biblisch sind besonders zwei ­Elemente zentral: wirtschaftliche Absicherung und die Frage der Nachkommenschaft. Beides ist heute nicht mehr im Mittelpunkt. Schon daran sieht man, dass sich auch theologisch sehr viel entwickelt hat. In der christlichen Theologie ist dann schon früh die Vorstellung entstanden, dass der Ehebund ein Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen ist. Wenn das in Ansätzen gelingt, dann hat die Ehe einen Verkündigungscharakter und erzählt etwas von unserem Gottesglauben. Daher rührt eine große Wertschätzung für die Ehe.

Lassen Sie uns noch einmal in die Gegenwart schauen: Was konkret hat sich durch „Amoris laetitia“ in den vergangenen Jahren verändert?
Viele Seelsorgerinnen und Seelsorger fühlen sich mit dem Schreiben nachhaltig ermutigt, ohne Ressentiments auf Menschen mit unterschiedlichen familiären Konstellationen zuzugehen. So sichert „Amoris laetitia“ eine seelsorgerische und pastorale Praxis ab, die sich nicht von den Idealkonstruktionen her entwirft, sondern von der konkreten Situation her. Und das hat seinen Niederschlag in ganz vielen Detailbegegnungen. In jedem Erstkommunionkurs haben Sie mit einer ganzen Fülle von familiären Konstellationen zu tun. Dort lässt sich entdecken, in welchen Zusammenhängen Menschen ­leben und welche Geschichten damit verbunden sind. Wir ­sollten nicht vorschnell vom Scheitern von Lebensentwürfen sprechen, sondern offen dafür sein, dass Menschen auf ihrer Suche nach einem erfüllten Leben ganz unterschiedliche Wege gehen. Darin lässt sich Theologie noch einmal neu entdecken.

Wolfgang Beck ist Junior-Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Frankfurt-Sankt Georgen und vertritt seit 2015 den dortigen Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik. 2002 wurde er zum Priester geweiht. Er spricht seit 2011 regelmäßig das „Wort zum Sonntag“ der ARD.


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